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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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Gott?“
    Dann wandte sie sich wutschäumend, mit starrem Blick, gesträubtem Haar zu Tristan und streckte ihm die Hände wie Pantherklauen entgegen: „Tritt näher! Verstehst du nicht, was ich sagte? Das Mädchen ist meine Tochter. Weißt du, was es heißt, ein Kind zu besitzen? Wolf, hast du nie bei einer Wölfin gelegen? Hast du nie ein Wölfchen gehabt? Und wenn du Junge hast, und sie heulen, bist du dann so ohne Herz, daß es nicht klopft?“
    „Werft den Stein herunter“, sprach Tristan; „er hält nicht mehr.“ Die Hebel rückten die schwere Steinlage in die Höhe. Dieses war, wie wir schon sagten, die letzte Schutzmauer der Mutter. Sie stürzte darüber hin und wollte sie zurückhalten, kratzte in den Stein mit den Nägeln; aber der schwere, von sechs Menschen in Bewegung gesetzte Stein entschlüpfte ihrer Hand und glitt die eisernen Hebel entlang auf den Boden. Als die Mutter den Eingang ausgebrochen sah, stürzte sie sich in die Öffnung der Bresche, rang die Arme, verrammelte die Bresche mit ihrem Leib, stieß mit dem Kopf gegen die Steine des Fußbodens und rief mit einer aus Erschöpfung heiseren Stimme, so daß man sie kaum vernahm: „Zu Hilfe, Feuer, Feuer!“
    „Ergreift das Mädchen“, sprach Tristan, noch immer hartherzig. Die Mutter betrachtete die Soldaten auf so furchtbare Weise, daß sie mehr Lust hatten, zurückzuweichen, als vorwärts zu dringen.
    „Vorwärts!“ rief der Prévot; „Henriet Cousin, vorwärts!“
    Alle standen still. Der Prévot schwur: „Christi Haupt! Meinen Kriegsleuten ist bange vor einem Weibe!“ – „Gnädiger Herr“, sprach Henriet, „die nennt Ihr ein Weib?“ – „Sie hat eine Mähne wie eine Löwin“, sprach ein andrer.
    „Vorwärts!“ wiederholte der Prévot, „der Bruch ist breit genug. Marschiert zu dreien in der Front hinein wie in die Bresche von Pontoise. Mahoms Tod! Den ersten, der zurückweicht, haue ich in Stücke.“
    Zwischen dem Prévot und der Mutter in der Mitte stehend, schwankten die Soldaten einen Augenblick, dann trafen sie ihre Wahl und drangen vor zum Rattenloch.
    Als die Klausnerin dies sah, richtete sie sich plötzlich auf den Knien auf, schlug ihre Haare aus dem Gesicht und ließ ihre mageren, geschundenen Hände über die Hüften hinabsinken. Dicke Tränen entrannen ihren Augen und flossen in einer breiten Runzel, wie ein Strom in seinem Bett, die Wangen hinab. Sie versuchte zu sprechen, aber mit sanfter, unterwürfiger, herzzerreißender Stimme, daß mancher alte Profoß in Tristans Gefolge, der sonst ein Menschenleben für nichts achtet, sich die Augen trocknete.
    „Gnädige Herren, Ihr Herren Sergeanten, ein Wort! Ich muß es euch erzählen! Seht, sie ist meine Tochter, mein armes, verlorenes Kind! Hört die Geschichte! Ich kenne die Herren Sergeanten. Sie waren stets gütig gegen mich zu der Zeit, als die Knaben mich mit Steinen warfen, weil ich viel liebte. Oh, ihr laßt mir mein Kind, wenn ihr meine Geschichte kennt. Ich bin ein armes Freudenmädchen. Zigeunerweiber stahlen mir mein Kind. Fünfzehn Jahre lang bewahrte ich seinen Schuh. Seht, da ist er! Welch schöner Fuß! In Reims! Die Chantefleurie! Vielleicht habt ihr davon gehört; ich bin’s. Ach, in der Jugend verbringt man schöne Stunden. Nicht wahr, gnädige Herren, ihr habt Mitleid mit mir! Die Zigeunerweiber haben sie mir gestohlen und versteckten sie fünfzehn Jahre lang, denkt euch, ich hielt sie für tot. Fünfzehn Jahre lebte ich in dieser Höhle ohne Feuer im Winter. Wie hart! Der arme kleine Schuh! Ich wehklagte, bis der liebe Gott mich hörte. In dieser Nacht schenkte er mir mein Kind. Das ist ein Wunder vom lieben Gott. Ihr werdet sie nicht töten; oh gewiß, ihr nehmt sie mir nicht; wenn ihr mich nehmen wolltet, so würde ich nichts sagen; aber ein sechzehnjähriges Mädchen! Laßt ihm Zeit, die Sonne zu schauen. – Was tat sie euch? Nichts. Ich auch nicht. Oh, wüßtet ihr doch, daß ich nur dieses Mädchen habe, wie alt ich bin, und daß die heilige Jungfrau sie mir sendet. Ihr seid ja alle so gut. Ihr wußtet nicht, daß sie meine Tochter war. Jetzt wißt ihr’s. Oh, Herr Prévot, ich hätte lieber ein Loch in meinen Eingeweiden, als eine Schramme an ihrem Finger. Ihr seht so gütig aus. Was ich Euch sage, erweicht Euch. Gnädiger Herr, wenn Ihr eine Mutter habt, so laßt mir mein Kind! Ich bitte Euch auf den Knien, wie man zum Herrn Jesus betet. Ich bitte niemand um etwas. Ich bin von Reims, gnädige Herren. Ich besitze ein kleines Feld
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