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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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von meinem Onkel Mahiet Pradon. Ich bin keine Bettlerin. Ich will nichts als mein Kind. Oh, ich will mein Kind behalten. Gott, der Herr, hat es mir nicht umsonst gegeben. Ihr sagt, der König wolle es so. Ihm wird es gewiß kein Vergnügen machen, daß man meine Tochter tötet! Sie ist mein. Sie gehört dem König nicht. Sie ist nicht Euer. Wir wollen fort. Zwei Frauen, die fortgehen wollen, Mutter und Tochter, läßt man gehen. Laßt uns gehen. Wir sind aus Reims. Oh, ihr Herren Sergeanten, seid so gut! Ich lieb’ euch alle. Ihr nehmt mir meine Kleine nicht. Unmöglich! Nicht wahr, das ist unmöglich. Mein Kind, mein Kind!“
    Wir wollen es nicht versuchen, ihre Bewegungen, ihre Stimme, ihre Tränen, die sie redend schluckte, das Ringen ihrer Hände, ihr herzzerreißendes Lachen, ihre schwimmenden Blicke, ihre Seufzer, die erschütternden Laute zu beschreiben, die sie mit ihren wahnsinnigen, abgebrochenen Worten vermischte. Als sie schwieg, runzelte Tristan l’Hermite die Brauen, doch nur, um eine Träne zurückzudrängen, die in sein Tigerauge trat. Aber er überwand seine Schwäche und sprach kurz: „Der König will’s.“
    Dann neigte er sich zum Ohre Henriet Cousins und sprach leise: „Mach schnell!“ – Der furchtbare Prévot mochte fühlen, daß ihm der Mut entschwand. Der Henker trat mit den Sergeanten in die Zelle. Die Mutter leistete keinen Widerstand. Sie schleppte sich nur zu ihrer Tochter und stürzte über sie hin. Die Zigeunerin sah, wie die Soldaten herantraten und ward durch Todesfurcht wieder belebt. –„Mutter!“ rief sie mit unaussprechlichen Lauten der Verzweiflung; „sie kommen! Verteidige mich!“ – „Ja, Liebe, ich verteidige dich“, erwiderte die Mutter mit erloschener Stimme, drückte sie eng in ihre Arme und bedeckte sie mit Küssen. Als beide so auf dem Boden lagen, boten sie einen Anblick, der den rohesten Menschen gerührt hätte.
    Henriet Cousin umfaßte Esmeralda unter ihren schönen Schultern. Als sie die Hand fühlte, sank sie mit einem Ausruf in Ohnmacht. Der Henker, aus dessen Augen reichliche Tränen auf sie fielen, wollte sie in seinen Armen forttragen. Er versuchte, die Mutter loszureißen, die ihre Arme gleichsam wie einen Gürtel um ihre Tochter geschlungen hatte; allein sie klammerte sich so fest an das Mädchen, daß es unmöglich war. Henriet Cousin schleppte also das Mädchen mit der Mutter aus der Zelle. Auch die Mutter hielt die Augen geschlossen.
    In dem Augenblick erhob sich die Sonne am Himmel, auf dem Platze war schon eine ziemliche Volksmenge versammelt, die von fern betrachtete, was man so auf dem Pflaster zum Galgen schleifte. So war Tristans Verfahren bei Hinrichtungen. Er konnte es nicht leiden, daß Neugierige sich herandrängten. An den Fenstern befand sich niemand. Man sah nur von weitem auf dem Turm von Notre-Dame, der den Grèveplatz beherrscht, zwei Männer, als schwarze Punkte auf dem Hintergrunde des klaren Himmels, die zuzusehen schienen.
    Henriet Cousin blieb an der verhängnisvollen Leiter stehen; er war so tief gerührt, daß er fast ohne zu atmen den Strick um den schönen Hals des Mädchens schlang. Das unglückliche Kind empfand die furchtbare Berührung des Hanfes. Es schlug die Augen auf und erblickte über seinem Haupte den starren Arm des Galgens. Da schüttelte sich Esmeralda und rief mit lauter, verzweifelter Stimme: „Nein, nein! Ich will nicht!“ Die Mutter, deren Haupt an den Kleidern der Tochter versenkt sich verlor, sprach kein Wort. Man sah allein, wie sie am ganzen Körper bebte, und hörte, wie sie ihre Küsse verdoppelte. Der Henker benutzte diesen Augenblick, um mit Gewalt den Arm der Mutter loszureißen, den sie um ihre Tochter schlang. Aus Erschöpfung oder Verzweiflung ließ sie ihn gewähren; dann nahm er das Mädchen auf die Schulter, von wo sie anmutig sich biegend über seinen Kopf hinabhing. Endlich setzte er den Fuß auf die Leiter, um hinanzusteigen.
    In dem Augenblick schlug die auf das Pflaster hingesunkene Mutter die Augen auf. Ohne einen Schrei auszustoßen, richtete sie sich mit furchtbarem Ausdruck in die Höhe; dann stürzte sie, wie ein Tier auf seine Beute, auf die Hand des Henkers und biß hinein. Dies geschah mit der Schnelligkeit eines Blitzes. Der Henker heulte vor Schmerz. Man eilte herbei und befreite mit Mühe seine blutende Hand aus den Zähnen der Mutter. Diese schwieg. Man stieß sie hart zurück und bemerkte, daß ihr Haupt dumpf auf das Pflaster fiel. Man hob sie auf und ließ sie
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