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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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ereignet, ist für uns schon ein hinreichender Gegenstand der Neugier.
    Wenn der Leser damit einverstanden ist, so wollen wir versuchen, den Eindruck wiederzugeben, der auf ihn gewirkt hätte, wenn er, mit uns über die Schwelle jenes großen Saales treibend, mitten in das Gewühl geraten wäre. Im ersten Augenblick summt es uns in den Ohren, schwimmt es uns vor den Augen, über unsern Häuptern erhebt sich ein doppeltes Spitzgewölbe, mit hölzernen Bildwerken ausgetäfelt, mit goldnen Lilien auf azurnem Grunde bemalt; unsere Füße betreten einen Estrich von wechselweis gelegten, schwarzen und weißen Marmorplatten. Einige Schritte weit von uns erhebt sich ein ungeheurer Pfeiler, weiterhin ein zweiter, – ein dritter, – in der ganzen Länge des Saales sieben, die in der Mitte seiner Breite die Kerne des Doppelgewölbes stützen. Rings um die vier ersten Pfeiler Kaufbuden voll Glaswaren und Flitterstaat; um die drei letzteren sehen wir Eichenbänke, abgerieben und blankgeputzt von den Hosen der Prozessierenden und von den langen Röcken der Anwälte. Die hohen Mauern des Saales rings entlang, in den Räumen zwischen den Türen, den Fenstern, den Pfeilern zeigen sich in unabsehbarer Reihe die Bildsäulen aller Könige von Frankreich seit Pharamund, – einige faulenzerisch-schlaftrunken mit niedergeschlagenen Blicken und schlaff herabhängenden Armen, – so viele andere wieder gewaltig und kriegerisch, Haupt und Hände gen Himmel gewandt. Ferner blendet uns aus den langen in Spitzbogen auslaufenden Fenstern der tausendfarbige Glanz der Glasmalerei; an den weiten Ausläufen des Saales prunken die reichen, mit feiner Bildhauerarbeit geschmückten Pforten. Den Eindruck zu vollenden schimmert alles – Gewölbe, Pfeiler, Mauern, Gesims, Getäfel, Türen, Statuen – von oben bis unten in der Farbenpracht des Goldes und Azurs, – obgleich schon in jenem Zeitpunkt, da wir den Saal in Gedanken betreten, etwas angedunkelt.
    Man versetze sich nun in diesen unermeßlichen länglichen Saal, erhellt von dem bleichen Lichtschimmer eines Januartages, gewaltsam in Besitz genommen von einer buntscheckigen lärmenden Menge, die die sieben Pfeiler umflutet, – und man wird eine, wenn auch noch etwas wirre Vorstellung von dem ganzen Gemälde haben, dessen sonderbare Einzelheiten wir alsobald genauer anzugeben versuchen wollen.
    Von den beiden Enden dieses ungeheuren Vierecks nahm das eine jene berühmte Marmorplatte aus einem einzigen Stück ein, die so lang, so breit und so dick war, daß (um uns des Stils der alten Schriften zu bedienen, der einem Gargantua Appetit gemacht hätte) „eine ähnliche Marmorschnitte“ auf der ganzen Welt nicht wieder zu finden war; am andern Ende sah man die Kapelle, in der Ludwig XI. sich, kniend vor der heiligen Jungfrau Maria, in Stein hatte abbilden lassen, und wohin er auch, ohne sich darum zu kümmern, das in der Reihe der königlichen Bildsäulen nunmehr zwei Blenden leer blieben, die Standbilder Karls des Großen und Ludwigs des Heiligen schaffen ließ, zweier Heiligen, von denen er annahm, daß sie, als Könige von Frankreich, im Himmel großes Ansehen haben müßten. Diese Kapelle atmete ganz jenen reizenden Geschmack der kostbaren Baukunst, der wunderbaren Skulptur, der feinen und grundgediegenen Meißelarbeit, in der wir den Charakter der Endzeit gotischer Kunst erkennen und der bis gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts sich selbst noch in den phantastischen Werken des damals modern gewordenen Stils findet. Ein besonderes Meisterstück, was Zartheit und Grazie betraf, war die kleine gotische Rose über dem Portal, – man nannte sie einen Stern mit Kanten. In der Mitte des Saales, gegenüber der großen Türe, lehnte sich eine mit Goldstoff behangene Estrade an die Wand; man hatte für die Estrade vermittelst eines Fensters, das zu dem heimlichen Gang der goldenen Kammer gehörte, einen eigenen Eingang hergerichtet; sie war zu Plätzen für die zum Besuch des Mysteriums eingeladenen flamländischen Gesandten und für andere hohe Personen bestimmt. Die früher benannte Marmorplatte war der Ort, wo man herkömmlicherweise das Mysterium aufführte; von früh an war sie zu diesem Zwecke hergerichtet worden; die prachtvolle, aber von den Absätzen der Parlamentsschreiber bereits ganz zerkratzte Riesentafel trug jetzt ein ziemlich hohes Holzgerüst, dessen obere Fläche den Blicken aller Zuschauer im ganzen Saal gleich günstig gelegen, als Bühne dienen sollte, während das Innere, durch
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