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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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ab, schwächer wurden seine Arme, schwerer schien ihm sein Körper. Die Bleibiegung, an der er sich klammerte, neigte sich mit jedem Augenblick mehr dem Abgrund zu. Unter sich sah er das Dach von St. Jean-le-Rond klein wie ein Kartenhäuschen. Nacheinander betrachtete er die starren Skulputen des Turmes, die über den Abgrund ebenso ohne Mitleid für ihn hingen, wie er selbst vor ihren Gestalten nicht erschrak. Rings um ihn her war alles von Stein, vor seinen Augen gähnende Ungeheuer, unter ihm das Pflaster des Platzes, über seinem Haupte der weinende Quasimodo.
    Auf dem Vorplatze der Kirche standen einige Gruppen Neugieriger, die ruhig zu erraten suchten welcher Narr sich ein so gefährliches Vergnügen machen könne. Der Priester hörte – denn ihre Stimmen gelangten zu ihm hell und scharf – wie sie sagten: „Wahrhaftig, er wird sich noch den Hals brechen!“
    Quasimodo weinte.
    Endlich sah der Archidiakonus, schäumend vor Wut und Furcht, ein, alles sei vergeblich. Dennoch raffte er alle Kraft zu einer letzten Anstrengung zusammen. Starr erhob er sich auf der Rinne, stemmte beide Knie gegen die Mauer, klammerte sich mit den Händen in eine Steinspalte und klomm vielleicht einen Fuß in die Höhe. Doch bei der Kraftanstrengung bog sich plötzlich der bleierne Schnabel, seine bisherige Stütze, und das Priesterkleid zerriß. Er fühlte, wie alles unter ihm wich, wie allein seine starren und jetzt auch erschöpften Hände noch an etwas sich hielten; da schloß der Unglückliche die Augen, ließ die Rinne los und stürzte hinab.
    Quasimodo sah ihn fallen. Der Priester lag zerschmettert auf dem Pflaster. Der Wind spielte in den weißen Gewändern der Zigeunerin, die am Galgen hing. Quasimodo seufzte aus tiefster Brust: „Oh! Alles, was ich liebte!“

48. Des Phoebus Heirat
    Als die Gerichtsbeamten des Bischofs am Abend dieses Tages den zerschmetterten Leichnam des Archidiakonus vom Pflaster aufhoben, war Quasimodo aus Notre-Dame verschwunden. Über die Ereignisse wurden mancherlei Gerüchte in Paris verbreitet. Man hegte keinen Zweifel, der Tag sei gekommen, wo Quasimodo, d. h. der Teufel, nach dem Vertrage den Archidiakonus Claude Frollo, d. h. den Hexenmeister, endlich geholt hatte. Man vermutete, er habe den Leib zerbrochen, um die Seele herauszunehmen, wie die Affen zu tun pflegen, wenn sie die Schale zerbrechen, um den Nußkern zu verspeisen. Deshalb ward auch der Priester nicht in geweihter Erde begraben.
    Ludwig XI. starb im folgenden Jahre 1483, im Monat August. Peter Gringoire war so glücklich, die Ziege zu retten, und erlangte auch einigen Beifall im Tragödien-Dichten. Nachdem er, wie es scheint, alle Torheiten gekostet hatte, die Astrologie, Alchimie, Philosophie und Architektur, kehrte er zur albernsten Torheit, der Tragödie, zurück; das nannte er: Ein tragisches Ende nehmen.
    Auch Phoebus von Chateaupers nahm ein tragisches Ende: Er verheiratete sich.

49. Im Tode vereint
    Wie wir sagten, war Quasimodo am Todestage der Zigeunerin und des Archidiakonus aus Notre-Dame verschwunden. Man sah ihn nicht wieder und wußte nicht, was aus ihm geworden war.
    In der Nacht, welche auf Esmeraldas Hinrichtung folgte, hatten die Henkersknechte ihre Leiche vom Galgen gebunden und sie, wie es damals Sitte war, in den Keller von Montfaucon getragen.
    Etwa zwei Jahre nach den Ereignissen, die diese Geschichte schließen, holte man aus dem Keller von Montfaucon die Leiche von Olivier-le-Daim, der zwei Tage vorher gehängt worden war, und dem Karl VII. die Gnade bewilligte, in besserer Gesellschaft auf dem Kirchhof von St. Laurent beerdigt zu werden. Da fand man unter den scheußlichen Leichen zwei Skelette, wovon das eine das andere eng umschlungen hielt. Das eine der Skelette war ein weibliches, und an ihm hingen noch einige Fetzen eines früher weißen Kleides; am Halse sah man ein Halsband von Zauberfiguren, mit einem seidenen Beutel, der, mit grünem Glas geschmückt, offen und leer war. Diese Gegenstände hatten offenbar so wenig Wert, daß der Henker sie nicht hatte haben wollen. Das andere Skelett, welches das weibliche eng umschlungen hielt, war ein männliches. Man bemerkte, die Rückenmarkssäule sei gedreht, der Kopf stehe zwischen den Schultern, und ein Bein sei kürzer als das andere. Übrigens war im Genick desselben kein Bruch in der Rückenmarkssäule, so daß der Mann, von dem das Skelett stammte, offenbar nicht gehängt war. Er mußte hierher gekommen und dann gestorben sein. Als man es von dem
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