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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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– „Die Junge.“
    Sie schüttelte den Kopf und rief: „Hier ist niemand! Hier ist niemand! Hier ist niemand!“ – „Ja“, antwortete der Henker, „Ihr wißt das besser als ich. Laßt mich die Junge hängen. Euch will ich nichts zu leide tun.“ Sie sprach mit sonderbarem Grinsen: „Du willst mir nichts zu leide tun?“ – „Überlaß mir die andere. Der Herr Prévot will nur die.“ Sie wiederholte mit dem Ausdruck des Wahnsinns: „Hier ist niemand!“ – „Ich sage Euch, hier ist doch jemand. Wir sahen alle, daß euer zwei waren.“ – „Sieh hinein, steck deinen Kopf durch die Luke.“
    Der Henker besah die Nägel der Alten und wagte nicht, ihrer Aufforderung zu folgen.
    „Eile!“ schrie Tristan, der unterdes seine Leute im Kreise um das Rattenloch aufgestellt hatte und zu Pferde neben dem Galgen hielt. Henriet kehrte ganz verlegen zu dem Prévot zurück. Seine Stricke legte er auf den Boden und drehte mit linkischer Miene seinen Hut in der Hand. „Gnädiger Herr“, fragte er, „wie soll ich eindringen?“ – „Durch die Tür.“ – „Es ist keine da.“ – „Durchs Fenster.“ – „Es ist zu eng.“ – „Nun, so mach es weiter. Hast du keine Steinhaue?“
    Die Mutter sah lauernd im Hintergrunde ihrer Höhle zu. Sie hoffte nichts mehr, wußte nicht, was sie tun sollte, aber wollte sich nicht ihre Tochter nehmen lassen. Henriet holte sein Henkergerät aus dem Schuppen des Pfeilerhauses mit der Doppelleiter, die er sogleich am Galgen aufstellte. Fünf oder sechs Leute der Prévoté bewaffneten sich mit Brecheisen, und Tristan ritt wieder auf die Luke zu.
    „Altes Weib“, sprach der Prévot in trockenem Tone, „überliefere uns willig das Mädchen da!“
    Sie sah ihn an, als verstände sie ihn nicht.
    „Gottes Haupt!“ begann Tristan aufs neue, „warum hinderst du uns, die Hexe da zu hängen, wie es dem König gefällt?“
    Die Ärmste verzog ihren Mund zu ihrem wilden Lachen. – „Warum? Sie ist meine Tochter.“
    Bei dem Tone, womit dieses Wort gesprochen wurde, bebte sogar Henriet Cousin.
    „Es tut mir leid“, sagte der Prévot, „allein es ist der Wille des Königs.“
    Sie sprach mit verdoppeltem, furchtbarem Gelächter: „Was kümmert mich der König, dein König? Ich sage dir, sie ist meine Tochter!“
    „Durchbrecht die Mauer!“ befahlt Tristan.
    Um eine ziemlich breite Öffnung zu bewirken, genügte das Ausbrechen einer Lage von Steinen unter der Luke. Als die Mutter vernahm, wie Brecheisen und Hebel ihre Festung angriffen, stieß sie einen furchtbaren Schrei aus; dann rannte sie wie ein wildes Tier im Käfig mit schrecklicher Geschwindigkeit in ihrer Zelle auf und ab. Sie sprach nichts mehr, aber ihre Augen flammten. Die Soldaten standen wie erstarrt da. Plötzlich ergriff sie ihren Stein, lachte und schleuderte ihn mit beiden Fäusten auf die Arbeiter. Aber ihre Hände zitterten; der Wurf war nicht stark genug; so traf der Block niemanden und blieb unter den Füßen von Tristans Pferd liegen. Sie knirschte mit den Zähnen.
    Unterdes war es ganz hell geworden, obgleich die Sonne noch nicht am Himmel stand; ein schöner, rosiger Schein beleuchtete die alten, verfallenen Kamine des Pfeilerhauses. Es war die Stunde, wo die Dachfenster aufgeschlossen werden. Einige Bürger und Fruchtverkäufer auf ihren Eseln, die zu den Hallen gingen, durchzogen den Grèveplatz, hielten einen Augenblick vor der Soldatengruppe am Rattenloch, betrachteten dies mit Erstaunen und gingen weiter. Die Klausnerin setzte sich zu ihrer Tochter, bedeckte sie mit ihrem Körper, blickte starr und hörte, wie das arme Kind, ohne sich zu rühren, murmelte: „Phoebus! Phoebus!“ Je weiter die Soldaten in ihrer Arbeit zu kommen schienen, um so mehr zog sich die Mutter zurück und drückte ihre Tochter an die Mauer. Plötzlich sah die Klausnerin (denn sie stand Schildwache und wandte den Blick nicht ab), wie der Stein wankte, und zugleich vernahm sie die Stimme Tristans, der seine Leute ermutigte. Da raffte sie sich aus der Erstarrung, in die sie seit einigen Augenblicken versunken war, auf und schrie: „Hohoho!“ – Während sie sprach, zerschnitt ihre Stimme das Ohr wie eine Säge oder stammelte, als ob alle Flüche sich an ihre Lippen drängten, um auf einmal auszubrechen: „Schrecklich! Ihr seid Räuber! Wahrhaftig, wollt ihr meine Tochter stehlen! Oh, ihr Feiglinge! Ihr Henkersknechte! Ihr elenden Mörder! Zu Hilfe! Zu Hilfe! Feuer! Sie wollen mir mein Kind stehlen! Gibt es denn keinen
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