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Wenn es dunkel wird im Märchenwald ...: Die zertanzten Schuhe

Wenn es dunkel wird im Märchenwald ...: Die zertanzten Schuhe

Titel: Wenn es dunkel wird im Märchenwald ...: Die zertanzten Schuhe
Autoren: Kira Maeda
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Es war einmal ...
    So beginnen Märchen. Geschichten und Sagen, die vor langer Zeit geschehen sind. Ihre Personen verlieren sich in den Tiefen der Vergangenheit und mit ihrer Glaubwürdigkeit ist es auch nicht weit her.
    Was aber, wenn sie ebenso unglaubwürdig wie wahr sind?
    Es war einmal ... jetzt!
     
    Die Blicke, die ihn trafen, schienen über seine Haut zu kratzen. Es waren misstrauische, ängstliche Blicke und es war keiner unter ihnen, der auch nur das kleinste bisschen Wohlwollen in sich trug. Marek kümmerte es wenig. Wohin er sich auch wandte; als Söldner war er immer zu abgerissen, immer zu muskulös, immer zu wild. Inmitten von Dorfbewohnern und Stadtbürgern fiel er zwangsläufig auf und er war es müde geworden, sich zu verstecken, wenn es doch nichts brachte.
    Hufe donnerten über den Boden. Marek trat von der Straße hinunter und sah nicht auf, als die Kutsche an ihm vorüberpreschte. Immer wieder zogen Kutschen, Wagen und auch Reiter an ihm vorbei – Grund war das Dorf, dessen Silhouette sich nicht weit vor Marek am immer grauen Himmel abzeichnete.
    Es war die einzige Übernachtungsmöglichkeit, die sich in diesem Land bot und niemand wollte länger als nötig in diesem Landstrich verweilen. Marek war erst seit drei Tagen hier – zu Fuß brauchte er erheblich länger als die anderen Reisenden – aber er spürte bereits die deprimierende Wirkung des ewig grauen Himmels. Tagsüber erreichte kein einziger Sonnenstrahl den Boden und selbst in der Nacht gab es kaum Sternlicht. Der Mond war so gut wie nie zu sehen.
    Eine weitere Kutsche raste über den Weg und Marek beschleunigte seine Schritte. Er wollte endlich wieder in einem Bett schlafen, so flohverseucht es auch sein mochte! Der Gedanke an eine warme Decke und etwas anderes als Trockenfleisch hob seine Stimmung wieder an.
    Der graue Himmel wurde dunkler, die Farbe veränderte sich langsam zu einem trüben schwarz. Die Nähe zum Dorf war trügerisch gewesen – Marek marschierte noch immer, als es schon Nacht wurde. Der Wald zu beiden Seiten des Weges wurde zu einem schier undurchdringlichen Gehölz, und wie es schien, war die letzte Kutsche vor Stunden an ihm vorbeigefahren. Es wurde merklich kälter, und leiser Nieselregen setzte ein. Marek fluchte lauthals und zog sich die Kapuze seines Mantels über den Kopf. Augenblicklich umfing ihn der Geruch von nasser Wolle.
    Wie weit konnte es noch bis zu diesem verfluchten Dorf sein? Er blieb stehen, um zu den wenigen Lichtern zu sehen, die so unglaublich nah zu sein schienen, aber dennoch schon so lange auf sich warten ließen. Marek überlegte, ob er versuchen sollte, zu rennen, als plötzlich ein Schrei ertönte. Er war hoch und von Trauer und Entsetzen geprägt – sein Ursprung kam irgendwo aus den Tiefen des Waldes, rechts von der Straße. Aus einem Reflex heraus riss Marek das Schwert aus der Scheide auf seinem Rücken und rannte los. Er hatte Mühe, sich durch die dicht stehenden Bäume und zusammenhängenden Äste zu kämpfen, aber mithilfe der scharfen Schneide erreichte er einen schmalen Weg, der durch den Wald führte. Darauf kniete eine Frau vor einem leblosen Körper. Sie schrie nicht, aber ihr Gesicht war vor Angst verzerrt und sie schluchzte. Tränen strömten über die schmalen Wangen und ihre schwarzen Augen waren leer.
    Hinter ihr standen zwei weitere Männer und sahen fassungslos auf den Leichnam am Boden. Es handelte sich um einen jungen Mann. Jemand hatte ihm die Kehle herausgerissen; das Blut bedeckte sein Gesicht und besudelte die teure Kleidung. Es war ein grotesker Anblick: die kniende Frau und die beiden Männer in ärmlichen, fadenscheinigen Lumpen, die entsetzt um den Leichnam eines Edelmannes weinten.
    Marek trat näher und wie ein aufgescheuchtes Kaninchen sprang die Frau auf. Sie schrie wieder leise und suchte Schutz in den Armen einer der Männer, der sie sofort an sich zog. Die Blicke der drei lösten sich von dem Toten und hefteten sich auf Mareks gezücktes Schwert. Der bemerkte, worauf sie sahen und senkte die Klinge, ließ sie aber nicht ganz verschwinden. „Ist das euer Werk?“, fragte er. Seine Stimme war ruhig – seine Frage eigentlich überflüssig. Er hatte genug Kriege und Schlachten miterlebt, um zu sehen, dass diese drei kauernden Menschen unmöglich einen Mord an einem Edelmann verübt haben konnten. Ihre Haltung war zu geduckt und es fehlten die Blutspuren an ihren Händen und der Kleidung. Rachemord von Untergebenen an ihrem Herrn sah anders aus.
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