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Wenn es dunkel wird im Märchenwald ...: Die zertanzten Schuhe

Wenn es dunkel wird im Märchenwald ...: Die zertanzten Schuhe

Titel: Wenn es dunkel wird im Märchenwald ...: Die zertanzten Schuhe
Autoren: Kira Maeda
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zerfetzt. Nicht vor Kurzem, aber dass sich niemand die Mühe gemacht hatte, diese Rüstung wegzuschaffen, machte Marek misstrauisch. Er umfasste den Schwertgriff etwas fester und stieß das Tor auf, durch das er ins Innere der Burg gelangte. Licht blendete ihn. Hunderte von Kerzen und Fackeln erleuchteten die Eingangshalle. Im Licht des Feuers konnte Marek eine gewundene Treppe und eine Kuppel voller Mosaikgesichtern sehen. Ihre Augen wirkten im Kerzenlicht gespenstisch lebendig und schienen jeden seiner Schritte zu beobachten, als der in die Mitte der Eingangshalle trat.
    Marek nahm mit der linken Hand eine der Fackeln aus ihrer Halterung und hielt sie hoch. Die Kuppel wurde so besser ausgeleuchtet und er sah, warum ihm der Blick der Steingesichter nicht behagte: anstelle von bunten Vierecken hatte man winzige Spiegelsplitter in die Augen gesetzt. Die Lichter verliehen ihnen ein seltsames Leben und Marek ließ die Fackel wieder sinken.
    Er war versucht, zu rufen, aber noch wusste er nicht, wer oder was dieses Gemäuer bewohnte. Er war jedoch gewillt, es so schnell wie möglich herauszufinden.
    Die Fackel noch immer in der einen, das Schwert in der anderen Hand, stieg er die Treppe hinauf. Das Geländer war an vielen Stellen verrostet und durchgebrochen, die Steinstufen ausgetreten und an vielen Stellen geborsten. Marek hielt sich nah an der Wand und beeilte sich, die Treppe hinter sich zu bringen. Als er ihr Ende erreicht hatte, fand er sich in einem großen Saal wieder. Er legte staunend den Kopf in den Nacken – es gab nur ein Möbelstück, einen Thron aus Holz, mit Blattgold bezogen, das an mehreren Stellen abgeplatzt war. Er schien sich tausendfach im Raum zu befinden, was an den Spiegeln lag, die die Wände bedeckten. Keiner sah aus wie der andere; es gab die unterschiedlichsten Größen und Formen. Marek schritt an den Wänden entlang, vorbei an Handspiegeln, nicht größer als sein Mittelfinger, mit schlichten Rahmen und mannshohen Spiegeln mit Ranken aus Bronze und Blüten aus Gold verziert. Die Spiegel waren genau angepasst, jeder passte perfekt und nahtlos in die Lücke zwischen den anderen.
    Die einzige Stelle, an der sich kein Spiegel befand, war der Kamin gegenüber dem Thron. Das Feuer, das darin brannte, reichte, um den Saal zu erhellen. Der Lichtschein wurde von den glänzenden Oberflächen eingefangen und wieder und wieder weitergeworfen.
    „Ein beeindruckendes Schauspiel“, sagte eine hohe Stimme und Marek fuhr herum. Die Spitze seines Schwertes deutete auf einen alten Mann, der, von den Jahren gebeugt, an der Tür stand.
    Er trug einen Pelzmantel. War der vor Jahren sicher ein prächtiges Stück gewesen, so wirkte er wie auch der ganze Rest der Burg alt und schäbig. Das Fell war an vielen Stellen abgeschabt und die nackte Haut schimmerte durch. Was der Alte darunter trug, konnte Marek nicht sehen, aber es spielte auch keine Rolle. Der Mann wackelte mit dem Kopf und machte einen Schritt auf ihn zu. Seine fettigen, weißen Haarsträhnen wippten auf und ab. Zusammen mit der hakenförmigen Nase erweckte diese Bewegung den Eindruck eines Geiers, der Beute gerochen hatte.
    „Du hast es auch bewundert, nicht wahr? Das Schauspiel.“
    Marek hob das Schwert etwas an. „Wer bist du, alter Bussard?“, knurrte er und hielt den Mann mit dem geschliffenen Stahl auf Abstand.
    „Alter Bussard?“ Der Alte richtete sich auf.
    Marek erkannte einen dürren Körper, eingehüllt in Lumpen unter dem Pelzmantel.
    „Nennst du so deinen König? Nennst du so den Herrn der tausendköpfigen Armee, den Meister über das Schicksal des Landes?“ Die Stimme des Alten, bisher ein hohes Fisteln, wurde für einen Augenblick zu einem Donnern. Einen Augenblick lang stand wirklich ein König vor Marek, doch das Bild verblasste einen Herzschlag später.
    „Du hast recht, Schwertträger“, fuhr der Alte fort. „Ein alter Bussard, das bin ich.“
    Marek ließ das Schwert sinken. „Ich brauche ein Lager für die Nacht. Draußen ist es nicht sicher – auf dem Weg hierher habe ich einen Toten gesehen.“
    Der Alte erstarrte. „Einen Toten? Was für einen Toten? Trug er eine Samtjacke und einen goldenen Ring?“
    Marek nickte.
    Das Gesicht des Burgbewohners schien regelrecht zu schmelzen. Er verzog es in tiefster Trauer und sank auf die Knie. Dabei stieß er einen derart klagenden Schrei aus, als hätte ihm Marek Nachricht über den Tod seines einzigen Sohnes gebracht.
    Mit einer geschmeidigen Bewegung warf Marek die Fackel
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