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Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure
Autoren: Michael Wilcke
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seine Frau Sophia bot zu dieser Stunde irgendwo in der Stadt die von ihr hergestellte Seife an. Er machte sich wenig Hoffnung, daß ihre Mühen erfolgreich sein würden. Wen kümmerte schon Reinlichkeit, wenn der Magen knurrte?
    Langsam näherte Martin sich dem Dom, der vor ihm als mächtiges steinernes Monument aus dem engen Gewirr der hohen Giebelhäuser aufstieg. In der Umgebung des Gotteshauses hielten sich viele Bettler auf, die flehend die Hände ausstreckten und um Almosen baten. Er bedauerte diese Ärmsten unter den Armen. Gerne hätte er ihnen geholfen, doch selbst er konnte seine Hausgemeinschaft kaum noch ernähren.
    Sein Blick fiel auf einen prächtigen öffentlichen Brunnen, dessen Säule mit bronzenen Figuren aus der griechischen Mythologie geschmückt war. An diesem Brunnen hielten sich etwa fünfzehn Frauen auf, die unschwer als Dirnen zu erkennen waren. Ihre zumeist feisten, nicht mehr jungen Gesichter leuchteten grell von billigem Schminkpuder. Einige der Frauen machten die vorübergehenden Männer durch Rufen auf sich aufmerksam, andere pfiffen, winkten oder vollführten obszöne Gesten.
    Dann erkannte er Thea unter ihnen.
    Sie stach aus der Gruppe der Dirnen hervor wie eine Königin unter Bauersfrauen. Thea hatte es nicht nötig, ihr Gesicht zu schminken. Sie war jung und besaß eine glatte, makellose Haut. Ihr schlanker und zierlicher Körper wirkte fast knabenhaft. Unter dem schwarzen, seidig glänzenden Haar blitzten zwei dunkle Augen hervor, die sich nun direkt auf ihn richteten. Sie lächelte, doch er wandte sofort den Blick von ihr ab und ging des Weges, ohne ihr weiter Beachtung zu schenken.
    Martin dachte an die Zeit zurück, in der sie sich sehr nahegestandenhatten. Er kannte Thea, die Tochter des Fischers Heideck, von Kindesbeinen an. Zumeist war er ihr auf dem Fischmarkt begegnet, wo seine Mutter stets bemüht gewesen war, ihn von dem vorwitzigen Mädchen fernzuhalten, das ihn so oft dazu verleitet hatte, die albernsten Grimassen zu schneiden. Später war er häufig allein zum Fischmarkt gelaufen und hatte Thea Zuckerwerk geschenkt, mit dem sie sich in einen Bretterverschlag am Elbufer zurückzogen.
    Er erinnerte sich noch gut daran, wie sie dort in diesem Versteck gehockt und die süßen Leckereien genossen hatten. Von Thea hatte er gelernt, Angelschnüre aus Pferdehaar zu flechten, und er wiederum hatte ihr all das berichtet, was er über die Glasmalerei und Kunstverglasung wußte. Sie hatte ihm wie gebannt zugehört, wenn er darüber sprach, wie sehr er die alten Meister bewunderte, deren Kirchenfenster mit schlichten koloristischen Mitteln das Sonnenlicht in einen warmen und weichen Glanz zwangen, der sich über die vielfach gebrochenen Winkel und Ecken der Kirchenwände ausbreitete, das Dämmerlicht der Nischen aufhellte und die Stimmung der Menschen beeinflußte.
    Mit der Zeit entwickelte sich ihre kindliche Anhänglichkeit zu einer Schwärmerei unter Heranwachsenden. Martin wußte, daß sein Vater diese Zuneigung für ein Mädchen aus schlichten Verhältnissen sauer aufstieß. Mehr als einmal hatte er mahnende Worte an Martin gerichtet und ihn beschworen, seine Zeit nicht mit diesem niederen Weibsbild zu verschwenden, dem allzu deutlich der Geruch nach Fisch anhing.
    Als die Pest in Magdeburg ausbrach, war Thea nicht mehr auffindbar gewesen. Martin lief in das Viertel der Fischer und erfuhr dort, daß Theas Familie die Stadt verlassen hatte. Es stimmte ihn traurig, daß er sie nun wohl niemals wiedersehen würde. Martin litt unter der Trennung, dochdann begegnete er Sophia, der Tochter eines angesehenen Magdeburger Malers, und verliebte sich vom ersten Augenblick an in dieses Mädchen, das Thea in seinem Äußeren und auch in seinem Wesen sehr ähnelte.
    Nicht lang nach seiner Heirat traf es ihn wie ein Hammerschlag, als er Thea begegnete. Er sah sie an diesem Brunnen, an dem sich nun ihre Wege wieder gekreuzt hatten. Auch damals hielt sie sich inmitten der Huren auf und biederte sich den Männern an. Es hatte Martin angewidert, wie sie sich dort den Tagelöhnern und Landsknechten an den Hals warf. Er selbst war wortlos und mit starrer Miene an ihr vorübergegangen.
    Es galt für einen Mann aus seinem Stand schon als unschicklich, mit der Tochter eines armen Fischers zu verkehren. Einer Dirne auf offener Straße Beachtung zu schenken konnte seinen guten Ruf zerstören. Aus diesem Grund und aus Rücksicht auf Sophia entschloß er sich dazu, Thea fortan mit Mißachtung zu
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