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Der Glanz der Welt

Der Glanz der Welt

Titel: Der Glanz der Welt
Autoren: Michael Amon
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verwundert über Himmels plötzliche Offenheit. Wir kannten uns schon lange, hin und wieder tauschten wir auch Informationen aus. Ehrlich gesagt: Wir tauschten sogar ziemlich oft Informationen aus. Aber wenn Himmel schlecht drauf war, blieb er normalerweise so verschlossen wie eine Auster.
    „Du traust dich was“, fuhr ich fort, „was wäre gewesen, wenn der Mann nicht hinuntergefallen wäre?“
    „Das nennt man dann eine Zeitungsente“, entgegnete Himmel trocken. Ich sah ihn fragend an.
    „Ach, nicht so schlimm. Für jeden Volltreffer kann ich mir ein paar Nieten leisten. Solange die Konkurrenz nichts dabei findet, die Opernballbilder des Vorjahres heuer nochmals zu verwenden, scheiß ich mich auch nichts.“
    „Hast du nichts unternommen, um das Unglück zu verhindern?“
    „Wieso Unglück? Und blöd werde ich sein, mir die Story selbst abzuschießen. Du musst das pragmatisch sehen: Bei Mord mische ich mich grundsätzlich nicht ein. Das sollen dieZuständigen unter sich ausmachen. Und einem Selbstmörder lass ich seinen letzten Willen. So ist allen gedient. Ich bin für Unterhaltung zuständig, nicht für Information.“
    „Und wenn die Polizei dich befragt …“
    Himmel grinste müde: „Die fragen mich schon lange nichts mehr.“
    Mein erstes Gefühl auf dem Stephansplatz hatte mich also nicht getäuscht. Das war kein Selbstmord, konnte gar keiner sein. Hier war jemand ermordet worden. Die Frage war wie immer in solchen Fällen: von wem und warum? Und weshalb war ein Ankündigungsbild ans Blatt geschickt worden?
    „Weiß man denn schon, wer der Mann ist?“, fragte ich.
    Himmel schüttelte den Kopf: „Ich warte auf die Polizeiberichte. Die haben noch immer den halben Platz abgesperrt und machen Spurensicherung.“
    „Spuren gibt es dort jede Menge. Mehr, als denen lieb ist“, warf ich ein.
    Himmel nickte: „Die Spurensuche kannst du vergessen. Dort liegt die DNA von halb Europa und die Scheiße von allen Fiakerpferden Wiens herum.“
    „Und das im Zeitalter der Pooh-Bags.“
    Himmel brummte: „Shit happens. Schert sich doch niemand drum. Pferde mit Windeln! Das ist Tierquälerei und sieht zudem idiotisch aus.“
    Es war nicht zu erkennen, ob er die ganze Sache für einen neuen Fall hielt oder ob es sich nur um eine Aufmacherstory an einem nachrichtenarmen Tag handelte. Aber seltsam war das schon, dass jemand der Redaktion einen Todesfall im Voraus meldete. Ganz schön riskant, wenn man sich’s genau überlegte. Man weiß schließlich nie, wie ein Reporter reagieren wird. Hätte ja auch sein können, dass derZeitungsmensch versuchen würde, die Ausführung der Tat noch zu verhindern.
    Als ob Himmel meine Gedanken lesen könnte, hob er plötzlich zu einer Erklärung an: „Das ist fünf Minuten vor vier hereingekommen. Mit einem Fahrradboten. Um vier ist Redaktionsschluss. Und genau für diese Zeit war der Vorfall angekündigt. Da hätte sich nichts mehr verhindern lassen. Ich hatte in den verbleibenden fünf Minuten nur zwei Möglichkeiten: Entweder unternehme ich einen aussichtslosen Versuch, in die Geschehnisse einzugreifen, und lasse die Story sausen, oder ich mache mich umgehend an die Arbeit, damit ich die Story noch in die Abendausgabe rücken kann. Dann haben wenigstens wir die Geschichte und nicht die Deppen vom ,Landesblatt‘. Da fällt die Entscheidung leicht.“
    Ich nickte zustimmend. Wahrscheinlich hatte er recht, man musste das professionell sehen.
    Himmel räusperte sich: „Hast du eigentlich irgendetwas erkennen können?“
    „Nein“, antwortete ich, „der Mann lag am Bauch, sein Gesicht am Pflaster. Ich habe ihn nur von hinten gesehen.“
    „Wieso glaubst du dann, dass es ein Mann gewesen ist?“, fragte Himmel.
    „Anzug, Schuhe, Körperhaltung. Ich habe ihn, ohne viel nachzudenken, als Mann wahrgenommen.“
    Himmel spielte noch immer mit der kalten Zigarette: „Scheißrauchverbot. Pure Christenverfolgung.“
    „Das lässt doch hoffen“, sagte ich und musste lächeln.
    „Wieso?“
    „Weil damit gesichert ist, dass es hierzulande nie wieder Hexenverbrennungen geben wird – wegen der gesundheitlichen Folgen für die Feuermacher und das schaulustigePublikum. Denk daran, wie viele Rauchinhaltsstoffe so ein Scheiterhaufen produziert! Und die Feinstaubbelastung nicht zu vergessen.“
    „Ja, der Arbeitnehmerschutz! Der ist ein hehres Gut“, antwortete Himmel und schien nun ein bisschen besser gelaunt zu sein. „Und die Kyoto-Ziele müssen auch erreicht werden. So eine
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