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Der gläserne Wald

Der gläserne Wald

Titel: Der gläserne Wald
Autoren: Reinald Koch
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wusste.
    Ja, gewiss, der Greis lebte, dank der Kunst des Oberstarztes Levro. Seinen von einer Haube verborgenen Schädel umgab ein Gespinst aus goldenen Fäden, die eine unmittelbare Kommunikation seines Hirns mit dem Memorsystem ermöglichten.
    So, wie die goldene Aura sein Hirn umspann, bohrten sich allenthalben glasig blasse oder hell- und dunkelrote Würmer in die welke Greisenhaut des Körpers und versorgten ihn mit Blut, Nahrung und Sauerstoff und simulierten jede andere Funktion gesunder Drüsen und Organe. Das Verfahren war umständlich, aber wegen des plötzlich aufflammenden Misstrauens des Obersten Rates hatten die Ärzte sein Gehirn nicht isolieren dürfen.
    Indessen wartete der Greis in stetig wachsender Unruhe, dass sich endlich der große Plan erfülle. – Sein Plan! Vielleicht hatte er ein Jahr zu lange gezögert. Ein Jahr – aber ein Jahr fast hatte sein Leben auf diese Weise noch Sinn behalten!
    Inzwischen war die Todesfurcht von ihm abgefallen wie die vermoderte Rinde eines längst gestorbenen Baums. Gern hätte er noch die Ankunft erlebt, doch es blieb nicht mehr viel Zeit.
    Er wusste, dass es falsch gewesen war, sein Hirn in diesem lebend toten Körper zu lassen. Er wusste, dass dieser erstorbene Leib sein Gehirn zerstörte, und dass er letztlich erliegen würde trotz aller Gegenmaßnahmen der Medizin.
    Ein Leben lang hatte er für sich und den Plan töten und morden lassen, er hatte Informationen unterschlagen und gefälscht. Er hatte in diesem Spiel geschickt die Karten gemischt und verteilt, hatte sein Spiel gemacht, und nun sollte er kurz vor dem Ende den Fächer der nur Minuten zu früh? Karten hinsinken lassen, zu schwach, um sie zu halten, – vielleicht.
    Es war nur die schiere Verzweiflung, die ihn von einer Minute zur anderen am Leben erhielt.
     
    Grünes, kühles Licht bedeckte die Wand mit Unbehagen. Er wartete. Schmerzen zogen von den Knöcheln die Waden hinauf und von den Handgelenken zu den Schultern. Sein Lager war weich, aber er fror. Eine warme Decke, die auf ihm gelegen hatte, war fortgerutscht, als er sich vom Bauch auf die Seite drehte.
    Stunden schienen vergangen, seitdem er sich zum letzten Mal bewegt hatte; schon der Gedanke an eine weitere Bewegung bereitete ihm Qualen. In der Zwischenzeit war das nächtliche Dunkel, das ihn höhlenhaft umhegt hatte, von jenem unangenehmen grünlichen Leuchten verdorben worden, in dem er nun fror.
    Er war im Dunkel erwacht und im Bewusstsein, alles zu wissen. Obgleich die Schmerzen, die von der viel zu straffen Fesselung herrührten, immer heftiger wurden, fühlte er sich wie nach langer schwerer Krankheit genesen. Als habe er eine gefährliche Operation überstanden; zwar schmerzten noch die Wunden, aber er war auf dem Weg zur Besserung, andere waren daran gestorben. Freilich wurde mit zunehmender Helligkeit auch deutlich, dass das Bewusstsein der Allwissenheit nur eine Täuschung gewesen war. Dafür verstärkte sich das Gefühl tiefer Dankbarkeit, noch einmal davongekommen zu sein.
    Franzik wartete. Es konnte sicher nur noch Sekunden dauern, dass einer zu ihm trat, um die Fesseln zu lösen. Schon jetzt im Moment mochte einer die Hand ausstrecken, eine Tür zu öffnen, … vielleicht wurde gerade erst der Befehl gegeben, – vielleicht eben jetzt. Franzik wartete.
    Er versuchte sich zu besinnen: Wie war er eigentlich in diese üble Lage geraten? Was war denn geschehen bei seiner Ankunft auf Ne Par? – Schweigen, keine Antwort, keine Informationen.
    Wie lange kann es dauern, bis ein Befehl gesagt ist? – Ein Atemzug, zwei Atemzüge, drei, vier, fünf …? Der Puls schlägt. Er schlägt – zu schnell!
    Hässlich kreischten die eisernen Angeln der Tür. Der Gefesselte zuckte erschrocken zusammen. Was wusste er von eisernen Türangeln und ihrem Geschrei? Er zerrte an den Schnüren, versuchte vergeblich sich herumzuwerfen, um den Ort sehen zu können, von dem das Geräusch herrührte. Jemand kam auf weichen Sohlen näher, Atemgeräusche.
    Wie ein Spielball wurde Franzik herumgeschleudert, als sich der Unbekannte neben ihm auf das Lager setzte. Das Gewicht seines Körpers verlagerte sich dabei plötzlich auf die zusammengeschnürten Handgelenke. Franzik unterdrückte einen Schmerzensschrei nur mit Mühe. Aber die Gestalt, die jetzt neben ihm auf dem Rand des Lagers saß, schlug ihn sofort in ihren Bann.
    Dies musste der größte Mensch sein, dem Franzik je begegnet war. Ungeheuer breit und massig zeichnete sich seine Silhouette gegen das
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