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Der gläserne Wald

Der gläserne Wald

Titel: Der gläserne Wald
Autoren: Reinald Koch
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sich das Moam im Gewirr der Zeitlinien verirrt und wusste weder aus noch ein. Da geschah ein Zufall, der Ihm wie ein Wegweiser den rechten Ort in Raum und Zeit bestimmte.
    Plötzlich wurde nämlich in einem Seiner Orte auf einer völlig vergessenen Wahrscheinlichkeitsebene eine recht beachtliche Energiemenge freigesetzt. Das Moam fand sich sofort ein, um sich der Wirklichkeit dieser Ebene zu bemächtigen.
    Gleichzeitig unterband das Moam rings um den ganzen Planeten das Vorhandensein oder Entstehen jedweder größerer Energiemengen mit Ausnahme der kalorischen und kinetischen. Dieser Eingriff traf auch einige Fische und Moluskeln, die sich bisher eines zufrieden stellend arbeitenden elektrischen Verteidigungs- oder Angriffssystems bedient hatten.
    Nach dieser heftigen Reaktion verfolgte das Moam die nun offen vor Ihm liegende Wahrscheinlichkeitsebene einige Zeit in die Zukunft; aber das Ergebnis war betrüblich. Weiterhin würde das große Epos in Form der roten Beeren Seine Schaffenskraft blockieren.
    Was tun? Das Moam kehrte in die Gegenwart zurück und dehnte seine sensitive Sphäre weit in den Raum aus. Und da fand Es wieder das prickelnde Pulsieren starker Energien, die bei subatomaren Reaktionen entstehen, und so glich Es auch diese Spannungen aus.
    Die Lichter der Raumschiffe um Ne Par erloschen. Die Pumpen in den stählernen Leibern verstummten, die Heizschlangen der Klimaanlagen kühlten sich ab, die Kühlschlangen erwärmten sich, doch nach einer Weile kühlten auch sie sich wieder ab. So starb die Flotte Adapors im Orbit.
     
    Auf Adapor begann der Tod sich einzurichten. Er trat plötzlich unter die Menschen und teilte die Welt in einen Bezirk, der nun gleich sterben musste und in einen anderen Teil, in dem die lebten, welche noch ein wenig Zeit hatten. Auf allerhöchsten Befehl aus dem Ratspalast wurden nämlich die Sicherheitsschotts zu den Höhlen der Degois geschlossen.
    Plötzlich stand die Sorge neben jedem Adaporianer. Solange noch die Degois versorgt wurden, hatte man sich reich gefühlt. Und tatsächlich war es ein Luxus gewesen, den sie sich geleistet hatten, auf den sie stolz gewesen waren, dass sie die Alten, die Dummen, die Degenerierten, die zur Arbeit Unfähigen am Leben erhalten konnten. Natürlich hatte es ihnen auch geholfen, die Misere ihrer eigenen kümmerlichen Existenz zu ertragen, dass man wenigstens kein Degoi war, dass man bedeutend besser lebte als diese, dass die Degois wie ein Puffer zwischen dem Nichts und dem Leben existierten.
    Nun gab es keine Degois mehr. Die Sicherheitsschotts waren geschlossen, die Versorgungsleitungen gesperrt. – Unruhe und Angst schlichen um die Hydroponiktanks, wucherten über die Hefekulturen. Und ein Fleischermeister wusste am Proferm-phi-Ausgabeschalter einem Ingenieur zu erzählen, ein riesiger Rindsmuskelstrang, der seit Jahrhunderten aus einer jener Urmuskelzellen wucherte, habe sich bei einem leichten Stromstoß dermaßen verkrampft, dass er sich aus der Halterung gerissen und die Versorgungsanlage zertrümmert habe, so dass man diesen viele Tonnen schweren Muskel nun notgedrungen werde verzehren müssen. Ein immenser Verlust, den man erst nach Jahren würde ausgleichen können. Ein böses Omen, dass selbst das unvernünftige Fleisch Angst hatte!
    Überhaupt mehrten sich die Zeichen. Nie zuvor hatten die Schlackeninseln so schaurig düster glühend das Antlitz der Embra entstellt. Wer an die Oberfläche kam, sah es mit Schaudern. – Auch Unfälle geschahen. Immer hatten sich Unfälle ereignet; doch jetzt sah man sie anders. Sie wurden von Mund zu Mund weitererzählt. Weil die offiziellen Nachrichten immer spärlicher flossen und nichts sagender wurden, gab es kein Korrektiv.
    Dennoch waren die Ängste und Sorgen der einfachen Leute vergleichsweise gering. Die Hochchargierten, denen die Informationen ungeschmälert zugänglich blieben, rechneten mit Schlimmerem, mit dem Schlimmsten. Seit endlosen Stunden war jeder Kontakt zur Flotte abgerissen; aber die letzten Meldungen von Ne Par ließen auf eine Katastrophe schließen.
    Adapor stand kurz vor dem Staatsstreich, – wenn jemand den Mut gefunden hätte. – Dieser obskure junge Admiral – wer war der eigentlich? – hatte sich zur Flotte entfernt, und der Oberste Rat ruhte im Palast zu Melars in einem gläsernen Tank, gestützt von öliger Flüssigkeit. Ein nackter, fast schon toter Körper; aber ein Geist, der noch immer die Schaltstellen der Macht beherrschte und sie zu bedienen
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