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Der Geschmack der Gewalt

Der Geschmack der Gewalt

Titel: Der Geschmack der Gewalt
Autoren: Frank Bill
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gehorchte, ging seitwärts bis zum Ende der Theke. Jarhead hielt ihm die Waffe an den Hinterkopf, presste den Lauf dagegen. Begleitete Dote durch den Vorhang in den hinteren Raum, wo Kartons mit Munition zwischen Bretterkisten mit noch nicht ausgepackten Gewehren aufgestapelt waren. Hier war die beschissene Munition, die er gebraucht hätte, dachte Dote. »Geh auf die Knie«, befahl Jarhead.
    Dotes Gesicht wurde tränenwarm. Schleim mischte sich mit Blut.
    »Bitte!«, flehte er. »Bitte!«
    Krachend kamen seine Knie auf dem kalten, harten Betonboden auf. Jarhead folgte ihm mit der noch immer warmen Waffe. Berührte damit erneut seinen Hinterkopf. Dann wurde Dote vondem lauten Beben, das seinen Körper durchpulste, zu Boden gerissen.
    *
    Das Fleisch des Mannes war verkohlte Götterspeise. Flat zerrte ihn brüllend aus dem Haus und verfrachtete ihn in den Hof, wo er nun mit wie eine Gottheit ausgebreiteten Armen neben einem verrosteten Dreirad lag. Schaukelgerüst ohne Rutsche, ohne Schaukeln. Seit langem verwaiste Erinnerungen. Qualm quoll aus den Flammen hinter ihnen. Gelb und orange brach die Nacht an und verschlang das alte Haus.
    »Wir müssen ihn in die Notaufnahme bringen«, sagte Flat.
    »In der Notaufnahme werden sie gleich die Polizei rufen«, schnitt ihm Angus das Wort ab. »Ihr hättet einfach besser aufpassen müssen.«
    Liz und Angus hatten Beatle und Flat beauftragt aufzupassen, während das Meth kochte und sie in der örtlichen Fabrik für Autoteile die abziehende zweite und die eintreffende dritte Schicht abpassten. In sechs Monaten würden hier die Tore schließen, weil die Wirtschaft im Sterben lag – Männer und Frauen würden ihre Supermarkteinkäufe einstellen, die Ratenzahlungen für das Auto und die Miete. Noch rissen sie Acht-Stunden-Schichten ab, während sie sich nach dem einzigen Ausweg sehnten, den sie hatten, dem nächsten Dopaminkick.
    Die verhärmten Drückeberger mit ihren bratfettigen Haaren, die Augen in die Schädel gestanzt wie Einbauleuchten, kamen zu Angus’ gansscheißegrünem Pinto. Steckten ihren verknitterten Lohn durch das heruntergelassene Fenster seines Wagens. Angus saß da wie ein Schatten, während Liz das Geld nahm, den Arbeitern mit einem Gramm markerschüttender Göttlichkeit gefällig war, und jedem Käufer gleichzeitig das Gefühl männlicher Überlegenheit mitlieferte.
    So lebte Angus seit dem Unfall und der Operation, die eine Gesichtshälfte durcheinandergewürfelt und zu einem Puzzle aus Fleischteilen gemacht hatte, die nicht mehr zusammenpassten.
    Angus und Liz fuhren zur Farm zurück. Trafen draußen im Hof auf Flat, der lamentierte, er und Beatle wären nach zu vielen Tagen Herumdoktern einfach weggepennt, hätten die Lithiumstreifen aus den Batterien zusammen mit dem Coleman-Benzin kochen lassen. Bevor Flat Beatle hatte wachrütteln können, war das Benzin zu heiß geworden, hochgegangen, hatte Beatle in Flammen aufgehen lassen. Das Nächste, woran Flat sich erinnerte war, wie er den armen Teufel in den Hof zerrte.
    Jetzt lag Beatle da, schürfte an seinen öligen Verbrennungen herum und zerstach ihnen mit seinem »Helft mir! Bitte! Hilfe!« die Trommelfelle.
    »Also, was sollen wir mit ihm machen?«, fragte Liz.
    Angus steckte eine Hand in die Tasche seiner Latzhose. Holte ein Tötungswerkzeug heraus.
    »Was zum Teufel machst du da?«, wollte Flat wissen.
    »Ich erlöse deinen Volltrottelbruder aus seinem Elend.«
    Beatles Flehen bekam etwas Nasses. Angus richtete die Pistole auf sein versengtes Haar, und es herrschte Ruhe.
    Flat machte ein, zwei Ausfallschritte. »Was zum Henk…«
    Angus zielte mit der 45er auf sein ascheverschmiertes Gesicht. Drückte ab. Rot zerteilte Weiß. Flat fiel zu Boden.
    Liz wandte sich ab. Schüttelte die schoko- und vanillefarbenen verknäulten Dreadlocks. Kämpfte mit den Tränen. »Und … was jetzt?«, stammelte sie entgeistert.
    Angus ließ das warme Stück Selbstschutz zurück in die Tasche gleiten. »Wir müssen weg sein, bevor die County-Jungs auftauchen und uns eine lange Gefängnisstrafe einbrocken. Müssen ein anderes verlassenes Haus finden, wo wir unterschlüpfen können. Mit deinem Pillendreher Kontakt aufnehmen. Von vorne beginnen, eh es hier unten keine Jobs mehr gibt und den Leuten das Geld ausgeht.«
    *
    Der Gewehrschuss hatte den alten Mann am Morgen aus dem Schlaf gerissen. Das Gesicht auf der Empfängerseite war undeutlich, die Person mit der Waffe allerdings dieselbe gewesen, von der er jetzt bereits
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