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Der Gesang des Satyrn

Der Gesang des Satyrn

Titel: Der Gesang des Satyrn
Autoren: Birgit Fiolka
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Sklaverei zu verkaufen. Vielleicht würde Stephanos sie doch noch für seine Ehre aufgeben, wenn es keinen anderen Weg gab. Neaira tadelte sich für ihre düsteren Gedanken – Stephanos hatte nichts getan, was ihr Misstrauen verdiente. Er hat mich damals Phrynion überlassen , mahnte ihr Verstand. Wie oft sie auch hin und her überlegte – Neaira kam zu keiner Lösung, und je mehr sie nachdachte, desto ängstlicher wurden ihre Überlegungen.
    Der Tag zog sich hin, und die Stille im Andron kam Neaira fast wie ein Todesurteil vor – das Todesurteil ihrer Hoffnungen und Träume, das Ende eines Weges, den sie sich leichter und schöner vorgestellt hatte. Sie hatte es geschafft von Nikaretes Hurenhaus bis hierher zu kommen, aus mehr oder weniger eigener Kraft. Doch sie spürte, dass egal welche Kraft sie noch aufbrachte, diese nicht ausreichen würde noch einen weiteren Schritt zu gehen. Sie war zu müde, sehnte sich nach Frieden, und einmal mehr lag ihr Schicksal in den Händen von Männern.
    Schließlich erschien Stephanos. Er kam allein, was Neaira Mut und Hoffnung machte. Ein Sklave nahm ihm seinen Mantel ab, dann setzte er sich neben sie auf die Kline. „Proxenos und Ariston sind als Bürger Athens bestätigt worden – als meine Söhne“, begann er zu sprechen. Neaira nickte, wagte jedoch nicht ihn zu unterbrechen.
    „Das Gericht hat dich als Metökin und damit als frei anerkannt.“
    Erst da meinte Neaira, dass die Last eines ganzen Lebens von ihr abfiel, und konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Frei! Was für ein Wort das war! Wie eine unerfüllte Sehnsucht ihres Lebens klang es ihr in den Ohren, schwang sich hinauf in ihren Verstand und vollführte dort einen ausgelassenen Tanz. Konnte sich ihre Sehnsucht letztendlich doch noch erfüllen?
    „Und doch habe ich verloren“, räumte Stephanos verbittert ein. „Sie haben herausgefunden, dass Phano deine Tochter ist. Es gab Zeugen in Megara, und auch einige der alten Nachbarn aus der Straße des Flüsternden Hermes haben die Vermutung ausgesprochen, dass meine Gattin keine Tochter hatte. Ich hätte nicht gedacht, dass ...
    ich meine es ist so lange her, und ich glaubte die Vergangenheit vergessen.“ Er geriet ins Stocken und schwieg dann.
    „Wirst du es ihr sagen?“, fragte Neaira ängstlich und dachte irrsinnigerweise an die blaue Wand ihres Zimmers in Nikaretes Haus, die ihr wie ein Himmel gewesen war, durch den sie sich als Kind vorgestellt hatte, ihrem Schicksal zu entkommen. Auch jetzt wäre sie gerne davon geflogen, frei wie der Wind, ohne Reue und Angst. Wenn Stephanos mit Phano sprach, würde sie der anklagende Blick ihrer Tochter auf ewig verfolgen ... sie könnte nie wieder frei sein.
    Stephanos schüttelte den Kopf und flüsterte: „Nein!
    Ich habe alles getan, was ich konnte. Jetzt ist es an dir, zu ihr zu gehen. Du bist ihre Mutter!“
    Er hatte ausgesprochen, was sie all die Jahre verdrängt hatten! Die Lüge um Phano hatte sich all die Jahre zwischen sie gedrängt wie eine Wand aus Marmor. Neaira sah in die Richtung, in der Phanos Räume lagen, und erhob sich langsam von der Kline. Ihre Glieder erschienen ihr mit einem Mal schwer. Es ist alles vorbei ... alles! Sie musste es ihr sagen und ihre Blicke ertragen, ihre Vorwürfe, den Hass und die Verachtung. Freiheit! Was für eine unglaubliche Lüge Freiheit für eine Frau doch war. Als Neaira vor Phanos Tür stand, zögerte sie einen Augenblick, öffnete sie dann leise und betrat den Raum. Phano lag auf ihrer Kline -
    aufgedunsen, betrunken und träge, das zerstörte Bild ihrer eigenen Sehnsüchte und Träume. Die Weinschale stand griffbereit neben ihrem Lager.
    „Phano“, sprach Neaira ihre Tochter an und hegte kurz die Hoffnung, dass sie bereits schliefe. Als sie näher trat, bemerkte sie jedoch, dass Phano wach war und sie mit dem ihr eigenen gelangweilten Blick ansah.
    „Was willst du hier?“ Phanos Stimme klang schwer vom Wein, doch sie verbarg weder die Ablehnung noch die Feindseligkeit, welche sie empfand.
    „Das Gericht hat entschieden, dass du meine Tochter bist. Stephanos hat es mir gerade gesagt.“
    Mit einem Stöhnen setzte sich Phano auf und stützte ihren Leib in den Kissen ab. Wieder schienen ihre Augen Neairas Fleisch zu verbrennen, sodass sie sich wünschte, Phano würde den Blick abwenden. Doch so elend Phano auch aussah, ihre Augen blieben fest auf Neaira gerichtet.
    „Und – sagen sie die Wahrheit?“, warf sie Neaira die Frage zu.
    Du musst es ihr sagen
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