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Der Gesang des Satyrn

Der Gesang des Satyrn

Titel: Der Gesang des Satyrn
Autoren: Birgit Fiolka
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schleppen.
    Er wollte Kokkaline dazu benutzen, seine eigene Unschuld zu beweisen - bevor Apollodoros den Prozess gewann und auch er als Sohn einer Hure galt. Wer, wenn nicht Kokkaline und Thratta konnten, die Wahrheit kennen?
    „Irgendwann wird mein Vater dich nicht mehr schützen können“, befand Proxenos wutentbrannt, bevor er mit seinem Freund davon humpelte.
    Neaira spürte, wie ihre Knie weich wurden, sobald sie fort waren. Langsam wurde sie zu alt dafür, sich ständig zu fürchten, gestand sie sich ein, während sie ins Haus zurückkehrte. Im Andron krochen Thratta und Kokkaline unter einer Kline hervor und fielen Neaira um den Hals.
    „Schon gut, Hündchen“, beruhigte sie die schluchzende Thratta, während Kokkaline sie aus ihren blauen Augen ansah und sich mit der Hand das Blut vom Ohr wischte. Ihr Lächeln wirkte schief, da Proxenos ihr einen Zahn ausgeschlagen hatte. „Es ist ja alles noch einmal gut gegangen, Herrin“, bekannte sie, als wäre sie nicht im letzten Augenblick einer grausamen Folter oder sogar ihrem Tod entgangen.
    Stephanos kehrte am Abend aufgebracht von der Agora zurück. Er hatte von Proxenos eigenmächtiger Tat gehört und fühlte sich von seinem Sohn verraten und übergangen. Neaira bat ihn, sich zu beruhigen. Sie fand, dass er blass aussah und übernächtigt. Nur schwer gelang es ihr ihn zu bewegen, sich auf eine Kline zu legen und eine Weile zu schlafen, bevor die Sklaven das abendliche Mahl auftrugen.
    „Morgen wird vielleicht endlich alles vorbei sein“, sagte er müde, als er von seinem kurzen Schlaf erwachte. Neaira betete zu den Göttern, dass er recht behielt. Er sah so erschöpft aus – gerade als würde jeder Tag dieser Gerichtsverhandlung an seiner Lebenskraft zehren , dachte sie, während Stephanos lustlos auf einem Stück Brot herumkaute. Das Fleisch rührte er nicht an. Neaira ließ ihn früh zu Bett gehen und fragte dann Thratta nach Phanos Befinden.
    „Sie verlässt ihre Schlafkline kaum noch und verbringt den Tag im Dämmerzustand des Weinrausches. Sogar Dionysos selbst würde nicht so viel Wein trinken können wie sie. Bitte geh doch zu ihr und sprich mit ihr, Herrin.“
    „Stephanos sagt, dass morgen eine Entscheidung getroffen wird. Wenn diese Sorge erst einmal von uns abfällt, wird alles gut werden, Thratta. Doch im Augenblick kann ich Phano kaum helfen. Bitte geh du zu ihr und heitere sie etwas auf.“
    Thratta gehorchte, doch Neaira konnte sich ihres schlechten Gewissens nicht erwehren. Wie lange hatte sie Phano nicht mehr zu Gesicht bekommen? Sie lebten im selben Haus, doch es war beinahe so als wäre Phano überhaupt nicht hier. „Ich muss mit Stephanos über ihre Trunksucht sprechen. Doch er ist durch dieses Gerichtsverfahren angeschlagen in seiner Gesundheit. Wie könnte ich ihn noch mit weiteren Sorgen belasten?“, versuchte Neaira sich vor Kokkaline zu rechtfertigen, während diese ihr aus dem Chiton half und ihren Schmuck entgegen nahm. Kokkaline hatte sich wie immer nach der Aufregung des Tages schnell gefangen. Im Gegensatz zu Thratta war sie unerschütterlich in ihrem Gemüt. Neaira fühlte sich jedoch noch schuldiger, sobald Kokkaline ihre neue Zahnlücke entblößte. Trotzdem zwang sie sich, ihre Gedanken auf den Ausgang des Verfahrens zu richten und sandte ein Gebet zu Aphrodite, damit sie ihr beistünde.
    Schuldbewusst schickte sie danach ein Gebet für Phano an die Göttin, damit sie ihr Kraft und Einsehen verlieh, von ihrem Weg der Selbstzerstörung abzulassen. Wenn alles vorbei ist, Aphrodite, werde ich mich um sie kümmern und ihr die Wahrheit sagen. Ich verspreche es dir!
    Der nächste Tag zehrte an Neairas Nerven wie keiner der vorangegangenen. Sie scheuchte die Sklaven umher und ließ sich von Kokkaline zweimal neu einkleiden. Wie sollte sie am Abend erscheinen, wenn Stephanos zurückkehrte -
    prunkvoll zurechtgemacht, wie eine Siegerin oder demütig und schlicht, wie eine überführte Lügnerin? Sie entschied sich letztendlich dafür, weder zu schlicht noch zu herausgeputzt aufzutreten. Kokkaline legte ihr einen blassgrünen Peplos und schlichten Goldschmuck an, auf ein Haarnetz oder eine Tiara verzichtete sie. Neaira wollte nur eines – zeigen, dass sie eine Frau war, die vielleicht eine unehrenhafte Vergangenheit besaß, aber dabei ihren Stolz nicht verloren hatte. Wenn Stephanos das Verfahren gegen sie verlor, würden Proxenos und Ariston kommen, um sie aus dem Haus zu zerren oder viel schlimmer ... um sie in die
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