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Der Gesang des Satyrn

Der Gesang des Satyrn

Titel: Der Gesang des Satyrn
Autoren: Birgit Fiolka
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und Ariston kamen und sich als die Herren des Hauses aufführten. Sie jagten mich davon und ließen mir nichts. Wenn es ein Schriftstück von Stephanos gegeben hat, das mein Auskommen sicherte, so verbargen sie es vor mir. Ich habe es nie gesehen, geschweige denn in der Hand gehalten. Sie ließen mir nichts außer meiner Freilassungsurkunde und jenem Stuhl, auf dem Stephanos so oft gesessen hatte, in seine Reden und Papyri vertieft. Es war eine letzte Gemeinheit, mit der Proxenos mich zu verspotten gedachte.“ Der Blick der Herrin lag liebevoll auf der geschwungenen Lehne mit den nunmehr orangerot leuchtenden Sonnenmustern.
    „Doch dieses alte Möbelstück hat mir geholfen, mich an ihn zu erinnern. Manchmal sah ich diesen Stuhl an und meinte, Stephanos darauf sitzen zu sehen.“ Sie wischte sich mit zitternden Fingern über die Augen - als würde sie Stephanos in diesem Augenblick sehen können. „So kehrte ich also nach Megara zurück, und das Versprechen der Wirtin, die mir bei meinem ersten Besuch gesagt hatte, dass ich früher oder später in ihrem Haus leben würde, erfüllte sich. Hier, in diesem Haus voller Tränen und Kummer, ließ ich die Seeleute, die Arbeiter und diejenigen, die nur ein paar Obolen übrig hatten, über meinen verwelkten Körper rutschen und sich meiner bedienen. Ich musste letztendlich jenes Schicksal annehmen, gegen das ich zeit meines Lebens gekämpft habe.“
    Ihre braunen Augen richteten sich auf Kokkaline, klammerten sich an ihre Sklavin, als hätte sie Angst, Kokkaline würde aufstehen und gehen. „Alles, was ich mir im Leben erkämpfte, war so flüchtig, wie der Wohlgeruch aus den Räuchergefäßen der Priester – ein einziger Windhauch konnte es zunichtemachen! Ich erflehte Hilfe bei Aphrodite, der Göttin der Liebe, deren Gunst wankelmütig und wechselhaft ist, und schmähte stattdessen Athenes Weisheit. Die Göttin hat mir dies nie verziehen, das weiß ich nun. Ich entsinne mich jenes Gespräches mit Stephanos im Garten, als er mir sagte, dass wir dereinst jeden Fehler wieder gut machen können, den wir im Leben begangen haben. Er hielt mich für überheblich, weil ich uns auf den elysischen Feldern sah, da doch nur Helden die sagenhaften Gefilde betreten dürfen. Nun, ich bin zwar kein Held, doch dieses Leben zu leben, welches die Götter mir zugedacht hatten, erforderte oftmals Heldenmut! Und wenn die Schöne Helena auf die elysischen Felder durfte, warum sollte es mir dann verwehrt sein? Ist nicht ihretwegen ein ganzes Volk dem Untergang geweiht gewesen? Bin ich denn schlechter als sie oder gar jene Herren, die mich bereits als Kind auf ihre Klinen holten und sich an mir erfreuten? Sollen die Götter doch sie in den Tartaros schicken, denn ich kenne alle ihre schlechten Gedanken und Geheimnisse!“
    Sie lächelte Kokkaline an und bemühte sich um eine überzeugte Stimme. „Ich glaube, dass ich und die meinen einen schönen Ort verdient haben nach der Mühsal des Lebens; und ich werde viel zu tun haben, wenn ich dort ankomme und all jene wiedersehe, die ich im Leben gekannt und verloren habe. Ich stelle mir vor, wie ich Metaneira begrüße, jung und schön wird sie mir zuwinken, ihr Kind im Arm haltend. Ich werde Hylas sehen, der nicht mehr von harter Arbeit und den Demütigungen gekennzeichnet ist, die das Leben ihm auferlegten.
    Phrynion – mein düsterer Geliebter, mit dem ich am Abgrund des Tartaros getanzt habe – er wird all das sein, was ihm im Leben verwehrt blieb, erlöst von seinen dunklen Leidenschaften und Qualen; ein Mann mit offenem Herzen, klug, lebensfroh und schön ... und Phano, meine Tochter! Sie wird mich Mutter nennen, und ich werde sie in die Arme schließen und lieben, so wie es hätte sein sollen. Dann endlich kann ich Stephanos meine Hand reichen und ihm sagen, dass keine Lügen mehr zwischen uns sein werden; denn ich werde rein sein, ohne Makel, eine Frau ohne Vergangenheit, die es zu verbergen gilt.“
    Die Lippen der Herrin umspielte ein Lächeln, dann streckte sie ihren Sklavinnen die Hände entgegen. Thratta und Kokkaline ergriffen jeweils eine vom Fieber glühende Hand. „Euch, die ihr im Leben meine Sklavinnen wart, werde ich Schwestern nennen, wenn ihr mir dereinst nachfolgt, denn das wart ihr mir.“ Ihr Blick schweifte ab zum Fenster, wo die Sonne gerade im Begriff war, unterzugehen. „Seht ihr? Gerade einmal einen Tag hat es gebraucht, mein Leben zu erzählen, und es wird keine weitere Nacht mehr brauchen, es zu beenden.“
    Wieder
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