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Der Gesang der Maori

Der Gesang der Maori

Titel: Der Gesang der Maori
Autoren: Emma Temple
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das etwas besonders Gutes
wäre. Meine Umsätze werden einbrechen, bloß weil plötzlich alle Händchen halten
wollen und friedlich in den Sonnenuntergang ziehen. Dieser Hitler hält nicht
durch, das wird langsam klar.« George Cavanagh ließ dieser Äußerung ein
verächtliches Schnauben folgen. »Die letzten Nachrichten aus Europa haben es
gerade bestätigt: Deutschland liegt am Boden. Schon im Frühling wird wieder
Frieden herrschen …« Bei ihm klang das wie die Ankündigung einer Katastrophe.
    Â»Aber das ist doch eine gute Sache!«, erklärte John unbefangen. »Die
Soldaten kommen endlich nach Hause. Der Vater von Rose ist schon seit drei
Jahren in Europa …«
    Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Sein Vater, der ihn bis zu
diesem Moment noch nicht einmal bemerkt hatte, fuhr herum und funkelte ihn an.
»Was interessiert mich der Vater von dieser Rose? Oder irgendjemand, der in
diesem Krieg ist? Es geht darum, dass unsere Reederei Kohle nach Europa fährt.
Das lohnt sich nur, wenn die Stahlwerke alle auf Hochtouren laufen, damit immer
neue Kugeln, Panzer und Kanonen für den Krieg entstehen. Du magst es, wenn du
dir keine Sorgen ums Geld machen musst? Dann bete dafür, dass dieser Krieg ewig
dauert!«
    Er sah seinen Sohn auffordernd an und erwartete offensichtlich eine
einsichtige Antwort. Das wäre wohl auch die einfachste Lösung gewesen. Aber
John hatte damals noch nicht gelernt, wann es besser war, einfach den Kopf zu
senken, zu schweigen und sich seinen Teil zu denken. Er war noch zu unerfahren
mit dem Zorn und der Wut von George Cavanagh. Er war noch keine elf Jahre alt.
    Â»Wir können doch auch andere Sachen nach Europa bringen. Wolle oder
Früchte, vielleicht sogar Fleisch …«, schlug er vor. »Vielleicht werden wir
damit nicht ganz so reich wie jetzt, aber wir leben in einer besseren Welt.
Meine Lehrerin sagt immer, dass Krieg nur etwas für Menschen ist, die zu dumm
sind, um den Frieden zu bewahren.«
    Â»Dann zeigt sie nur, dass die Dummen einfach nicht aussterben. Und
du bist der lebende Beweis dafür, dass sich die schlechten Eigenschaften eines
Menschen am besten vererben. Deine Mutter träumte auch von einer besseren Welt.
Hat ihr auch nichts gebracht. Im Gegenteil …«
    In diesem Moment hörten sie aus der offen stehenden Terrassentür des
Wohnhauses einen ohrenbetäubenden Lärm. George Cavanagh drehte auf dem Absatz
um, rannte die wenigen Schritte zum Haus und verschwand durch die Tür. John
lief ihm hinterher, eher neugierig als beunruhigt. Was sollte schon groß
passiert sein?
    Als er das große Wohnzimmer hinter der weit aufstehenden Terrassentür
sah, bemerkte er als Erstes seinen kleinen Bruder. Ewan saß wie ein Häufchen
Elend neben einem leeren Podest, Tränen liefen aus seinen dunklen Augen, die so
sehr denen seines Vaters ähnelten. Neben ihm lagen Dutzende von Eisen- und
Holzteilchen. Ein wirres Mikado, aus dem sogar zerbrochene Teile ragten. John
Cavanagh stand daneben und sah sich das Durcheinander an. Offensichtlich rang
er noch nach angemessenen Worten für seinen Zorn. Als ihm nichts Passendes
einfiel, hob er seine Hand und hieb den kleinen Ewan mit aller Kraft in die
Rippen. Der fiel unter der Wucht des Aufpralls einfach um, blieb liegen und
wisperte: »Entschuldigung, ich habe das nicht gewollt. Ein Schmetterling hat
sich auf die Reling gesetzt, den wollte ich fangen. Dabei ist das Schiff
einfach heruntergefallen. Verzeih, Vater, verzeih.«
    Die Reue des Achtjährigen schien den Reeder nicht zu beruhigen.
»Hast du eine Ahnung, was du da achtlos heruntergeworfen hast? Das ist ein Modell
der Pacific Miriam! Mein erstes Schiff, die Grundlage unserer Reederei, benannt
nach deiner Mutter! Hast du denn vor nichts und niemand Achtung, du kleiner
Wurm?«
    Ewan schluchzte weiter. Sein schmaler Rücken bebte, als er noch
einmal erklärte: »Ich habe das nicht gewollt, Vater. Ich mache es wieder gut,
ich kann das reparieren …«
    Ein zweites Mal fuhr die Hand von George Cavanagh herunter. Diesmal
hinterließ sie auf der Wange des kleinen Ewan einen Abdruck.
    John spürte, wie kalte Wut in ihm aufstieg. Sein kleiner Bruder litt
aufrichtig unter dem Missgeschick, das ihm passiert war, warum konnte sein
Vater nicht einfach die Entschuldigung akzeptieren und sich damit
zufriedengeben, dass Ewan sogar seine Hilfe bei der Reparatur
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