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Der Gesang der Maori

Der Gesang der Maori

Titel: Der Gesang der Maori
Autoren: Emma Temple
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senkte den Kopf. Seitdem er vor ein paar Tagen auf Deck verprügelt
worden war, ließen der Maat und sein Kumpel keinen Tag von ihm ab. Die
Platzwunden und blauen Flecken dieser ersten »Lehrstunde« konnten kaum
verheilen.
    Â»Etwas schneller, wenn ich bitten darf! Dein Vater zahlt uns nicht
fürs Sternezählen. Das Schiff muss sauber sein – und wir müssen schnell
ankommen. Jetzt musst du eben daran mitarbeiten, dass wir beides schaffen.
Deine Aufgabe heute findest du in der Latrine. Sogar unsere härtesten Matrosen
beschweren sich über den Geruch, da wird es höchste Zeit, dass sich so ein
feines Bürschchen wie du darum kümmert!«
    Damit drückte er John den Wischmopp in die Hand, deutete auf einen
Eimer, der auf dem Boden stand, und verschwand wieder entlang des nur spärlich
erleuchteten Ganges.
    John gähnte und streckte sich vorsichtig, soweit es seine
schmerzenden Rippen eben zuließen. Es war irgendwann am frühen Morgen, das
Schiff bewegte sich inzwischen westlich von Indien, nicht weit entfernt vom
Horn von Afrika. Es würden noch Wochen vergehen, bevor sie endlich in Hamburg
anlegen würden. In den Gängen herrschte eine drückende Hitze. Als John die Tür
zur Latrine aufschob, kam ihm ein Schwall übel riechender Luft entgegen. Für
eine Sekunde spürte er, wie sein Magen rebellierte. Tiefes Durchatmen half in
diesem Fall nicht weiter – und er konnte wohl kaum die ganze Zeit die Luft
anhalten. Er musste die Zähne zusammenbeißen und an bessere Tage denken.
    Er füllte den Eimer mit Wasser, gab ein wenig krümelige Kernseife
dazu und machte sich an das eine Waschbecken, das unter dem halb blinden
Spiegel hing. Während er an den Armaturen rieb und versuchte, wenigstens den
gröbsten Dreck zu entfernen, sah er sein eigenes Gesicht in dem blank polierten
Metallstück, das den Männern als Spiegel dienen sollte. Das blonde Haar mit dem
eigentümlichen Goldton hing ihm strähnig in die Stirn. Seine Augen mit dem
auffallend hellen Grün – oder war es doch ein Meerblau? – sahen ihn nur noch
müde an. Unter den hohen Backenknochen die eingefallenen Wangen, tiefe
Augenringe und aufgerissene Lippen – die Fahrt hatte ihre Spuren in seinem
Gesicht hinterlassen. Seine Nase war geschwollen und saß ein wenig schief,
offensichtlich war sie ihm vor ein paar Tagen gebrochen worden. Er hatte
geahnt, dass sein Vater in seiner Reederei die Reichtümer nicht mit Nettigkeiten
verdiente. Aber so schlimm hatte er sich die drückende Hitze bei den langen
Fahrten durch tropische Gewässer nicht vorgestellt. Oder den Gestank, der unter
Deck herrschte, wenn Dutzende von ungewaschenen, verschwitzten Männern auf
engstem Raum zusammenleben mussten. Oder die groben Witze, mit denen sie sich
grölend unterhielten, wenn ihre Schicht vorbei war und sie sich mit einem
lauwarmen Bier bei Laune zu halten versuchten. Oder zu betäuben.
    John tauchte seinen Wischmopp in das Wasser und machte sich an den
Boden, auf dem eine trübe Brühe hin und her schwappte. Ob seine
Mannschaftskameraden nicht einmal mehr versuchten, die aufgestellten Eimer zu
treffen? Er trug sie einzeln ans Oberdeck und versuchte, dabei möglichst wenig
von der stinkenden Brühe auf seine Hosen zu kippen. Aber der Seegang war zu
heftig, immer wieder traf ihn ein Spritzer. In seinem Mund machte sich ein
säuerlicher Geschmack breit, als er endlich den letzten Eimer zurück an seinen
Platz stellte und sich wieder über den Schmutz auf dem Boden hermachte. Es
schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis er allmählich den Boden erkennen konnte.
Gerade, als er den letzten Tropfen der Dreckbrühe aus dem Mopp auswrang,
schwang die Tür auf. Der Mann, der ihn geweckt hatte, marschierte mit prüfendem
Blick herein.
    Â»Schon fertig?«
    John nickte. Der Maat wollte keinerlei Erklärungen und wurde
aggressiv, wenn man ihm etwas sagen wollte. Doch dieses Mal lächelte ihn der
Mann nur mit seinen fauligen Zähnen an, nestelte am Reißverschluss seiner Hose
herum und holte sein Geschlechtsteil heraus. John starrte auf den Boden. Im
hohen Bogen urinierte der Maat auf den Boden. Er wollte nicht einmal in die
Nähe der Eimer treffen, er zielte vielmehr auf Johns Füße. Der machte
unwillkürlich einen Schritt zur Seite.
    Â»Habe ich dir erlaubt, wegzutreten, Matrose?«, schrie der Maat, ohne
mit seinem Tun aufzuhören.
    John
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