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Der Gesang der Maori

Der Gesang der Maori

Titel: Der Gesang der Maori
Autoren: Emma Temple
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Grab merkt, dass ich der Stärkere
bin.«
    Â»Meine Mutter nach Hause geschickt?« John wagte es kaum, den
nächsten Satz zu sagen: »Wo ist denn ihr Zuhause? Lebt sie noch? Wo?«
    Â»Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, hat sie noch gelebt. Keine
Ahnung, was dann passiert ist. So ein Krieg kann ja schon das eine oder andere
Leben kosten. Habe gehört, dass Hamburg bombardiert worden ist. Vielleicht ist
Ava ja so ein Gruß von oben auf den Kopf gefallen. Oder sie hat sich schon auf
dem Weg nach Hamburg ins Meer gestürzt und sich den Haien geopfert. Sah ganz danach
aus, als sie sich von dir verabschiedet hat!«
    John bemühte sich, einen kühlen Kopf zu behalten. Seine Mutter lebte
vielleicht!? Jetzt musste er den Zorn seines Vaters ausnutzen. Das heißt, seines
Ziehvaters. Wenn er Glück hatte, würde dieser wütende Mann noch mehr erzählen.
Ungeheuerliche Dinge, die John sich für alle Zeiten merken würde. Und eines
Tages würde er von seinem Wissen Gebrauch machen …
    Â»Hamburg?«, fragte er möglichst beiläufig nach. »Meine Mutter ist
Deutsche?«
    Â»Ja«, nickte der Mann, den er bis vor wenigen Minuten für seinen
Vater gehalten hatte. »Da kam sie her, dahin ging sie wieder zurück, das
Fräulein Erhardt. Kein Verlust für Neuseeland!«
    Â»Und wer war dann mein Vater?« John konnte nicht glauben, was er da
hörte. Wie hatte er fast elf Jahre lang nicht merken können, dass er in der völlig
falschen Familie aufgewachsen war?
    Â»Ein Nichtsnutz. Auch so ein Gutmensch, der an die Menschheit
geglaubt hat. Daran, dass alle friedlich für eine bessere Zukunft arbeiten
sollten und ähnlichen Blödsinn.« Allmählich war der Zorn des Reeders verraucht,
er kam wieder zu sich. »Du bist hier bei mir viel besser aufgehoben gewesen.
Was hätte dir deine Mutter schon bieten können? Eine Kammer in Hamburg, während
sie verzweifelt nach einer kläglichen Hilfsarbeit sucht? Nein, John, das musst
du mir glauben: Ich habe dir sehr viel mehr Zukunft zu bieten!«
    Mit einer knappen Geste zeigte John auf seinen kleinen Bruder, der
immer noch wie ein Häufchen Elend hinter ihm auf dem kalten Steinboden saß.
»Und was ist mit ihm? Ist er wenigstens wirklich dein Sohn?«
    Cavanagh nickte. »Ganz sicher. Und deswegen ist es auch so wichtig,
dass er gut erzogen wird. Dass ihm keine kleinen Nachlässigkeiten nachgesehen
werden, bloß weil er noch so klein ist. Ewan ist ein echter Cavanagh!«
    John nickte nur noch. Er wollte sich schon umdrehen und in den
Garten zurückgehen, um über die Enthüllungen von George Cavanagh nachzudenken.
Wo war seine Mutter? Lebte sie wirklich noch? Doch noch bevor er verschwinden
konnte, holte ihn die schneidende Stimme seines Ziehvaters aus seinen Gedanken.
    Â»Ich dachte, du wolltest gemeinsam mit Ewan das Modell wieder
reparieren? Angeblich soll ich nichts mehr von dem Malheur merken! Dann würde
ich mich jetzt besser ans Werk machen … denn ich werde die Pacific Miriam
morgen ganz genau untersuchen. Und wehe euch, wenn ich auch nur noch einen
Kratzer sehen kann!« Damit drehte er sich um und verschwand.
    John nickte, kniete sich neben seinem Bruder hin und fing an, die
Einzelteile vorsichtig einzusammeln. Ewan sah ihn scheu von der Seite her an,
während er ihm die Teile reichte. »Du bist gar nicht mein Bruder?«, fragte er
schließlich. Seine Stimme zitterte dabei ein wenig.
    Â»Du bist für immer mein Bruder«, erklärte John und strich Ewan über
die struppigen, schwarzen Haare. »Daran kann unser Vater nichts ändern und auch
sonst keine Geschichten über deine oder meine Mutter. Aber du musst lernen,
dass du den Zorn von unserem Vater nicht so sehr herausfordern darfst. Er
schlägt zu schnell zu …«
    Sie hatten die halbe Nacht an dem Schiffsmodell verbracht.
Irgendwann war die neue Haushälterin ihres Vaters, eine viel zu dünne, junge
Blondine namens Fiona, aufgetaucht. Eigentlich wollte sie die beiden Jungen ins
Bett schicken, aber nach ein paar Minuten sah sie ein, dass ihr das wohl nicht
gelingen würde. Seufzend kniete sie sich auf den Boden, griff nach einem Draht,
der verbogen auf dem Tisch lag, und meinte: »Ich werde euch beiden wohl helfen
müssen, sonst wird Mister Cavanagh heute Abend wieder ungehalten sein …«
    Er untersuchte das Modell genauestens, als er es am
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