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Der Gesang der Maori

Der Gesang der Maori

Titel: Der Gesang der Maori
Autoren: Emma Temple
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erstarrte. Diese Fahrt hatte sich zu einem Albtraum entwickelt
und wurde seit seiner Enttarnung auf dem Deck von vielen Monstern begleitet.
Dieser Maat war jedoch einer der Gefährlichsten. Wenn man ihm widersprach oder
nicht tat, was er wollte, dann schlug er schnell und hart zu. Offensichtlich
stellte er sich dabei immer vor, dass er Johns Vater schlug. George Cavanagh,
den Besitzer der großen Pacific Shipping Company. Ein Reeder, der im letzten
Krieg zu Reichtum gekommen war und jetzt alles daransetzte, diesen Reichtum
auch zu behalten.
    John nahm den abgegriffenen, klebrigen Holzstiel seines Mopps fester
in die Hand und senkte den Kopf. Der Maat pinkelte ihm jetzt einfach auf die
Schuhe, tat nicht einmal mehr so, als ob es aus Versehen geschähe.
    Irgendwann war auch die größte Blase entleert. Mit einer
abschätzigen Geste deutete der Maat auf den Boden.
    Â»Das nennst du sauber? Das ist ja noch nicht einmal annähernd das,
was ich meinen Matrosen zumuten möchte. Wenn du nicht mit dem Mopp umgehen
kannst, dann musst du eben auf die Knie, um den Boden richtig sauber zu
kriegen!«
    Er nahm einen dreckigen Lappen, der über einem rostigen Rohr hing,
und warf ihn vor Johns Füßen auf den Boden.
    Â»Mach sauber. Wenn du hier fertig bist, dann muss sogar der Kapitän
von dem Boden dieser Latrine essen können, klar?«
    Langsam ließ John sich auf die Knie nieder. Er spürte, wie die Nässe
durch den schweren Stoff seiner Arbeitshose drang und seine Haut anfeuchtete.
Wieder schluckte er den sauren Geschmack in seinem Mund herunter. Dieser Maat
hatte keine Macht über ihn. Nicht wirklich. Nicht über seine Seele. John
konzentrierte sich auf sein großes Ziel. Er wollte in Hamburg von Bord gehen
und ein neues Leben anfangen. Er griff nach dem Lappen und fing an, ein zweites
Mal an diesem Morgen den Boden zu wischen.
    Â 
    Als er wenig später in den
Mannschaftsraum ging, um ein wenig zu essen zu holen, rückten sogar die
freundlichsten der Matrosen zur Seite. »Was hast du nur angestellt, dass er
dich so hasst?«, murmelte einer der älteren Männer, bevor er seinen Teller nahm
und sich lieber einen Tisch weiter setzte. »Und sei nicht böse, Junge, aber du
stinkst einfach bis zum Himmel. Das ist sogar für mich zu viel.«
    John fing an, möglichst schnell den
klebrigen Haferbrei in sich hineinzuschaufeln. Keine Ahnung, wann McTaggart
oder der Maat wiederauftauchten, aber dann war seine Essenspause mit Sicherheit
beendet. Dazu ein paar Schlucke lauwarmes Wasser – und dann möglichst schnell
wieder an die großen Kessel und weiter Kohle schaufeln. Fast freute er sich auf
die harte Schicht. In dieser Zeit ließen ihn seine Peiniger wenigstens in Ruhe.
    Stunden später sank er auf seine Pritsche. Das Schnarchen der
anderen Männer in dem engen, heißen Raum – und seine angebrochenen Rippen –
sorgten dafür, dass er trotz seiner Müdigkeit nicht mehr einschlafen konnte.
Wach lag er auf dem Rücken und starrte in die Dunkelheit. Seine Gedanken
wanderten zurück zu dem Tag, an dem er beschlossen hatte, eines Tages aus Neuseeland
zu fliehen …
    Â 
    Es war einer dieser
sonnendurchfluteten Tage gewesen, wie es sie nur in Neuseeland gab. Das Haus
seines Vaters lag hoch über dem Pazifik, vom leicht abfallenden Garten konnte
man das türkisfarbene Meer mit den kleinen Schaumkrönchen sehen. Darüber der
dunkelblaue Himmel, den keine einzige Wolke verunzierte. Es waren nur noch
wenige Tage bis Weihnachten, 1944
würde schon bald zu Ende gehen.
    John hatte es sich auf der Terrasse
bequem gemacht und saß über seinen Hausaufgaben, als sein Vater plötzlich
auftauchte. Er hatte völlig gegen seine Gewohnheiten eine Bierflasche in der
Hand und sah aus seinen dunklen Augen düster in den wunderbaren Sommertag. John
erinnerte sich noch genau, dass er in diesem Moment eine erste silberne Strähne
im dichten, schwarzen Haarschopf seines Vaters entdeckt hatte. Das turbulente
Leben und der Krieg waren auch an ihm nicht einfach vorübergegangen. Mit langen
Zügen leerte George Cavanagh seine Flasche und schleuderte sie schließlich in
hohem Bogen in seinen Garten. Er konnte sicher sein, dass einer der
Maori-Gärtner die Flasche später aufheben und wegwerfen würde. John wollte sich
schon wieder seinen Büchern zuwenden, als sein Vater lospolterte.
    Â»Frieden! Alle reden von Frieden. Als ob
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