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Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall

Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall

Titel: Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall
Autoren: Roman Rausch
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Orchester gespielt.
    Aus der Mitte der Bühne, dort, wo
Don Giovanni
zur Hölle gefahren war, blitzte und zischte es auf, das Licht im Saal und auf der Bühne fuhr herunter, zuckende Stroboskopblitze blendeten Zuschauer und Sänger gleichermaßen. Die Oper war mit dem letzten Quintett also doch nicht zu Ende.
    Nun fuhr aus der Mitte der Bühne, aus dem Höllenschlund, eine brennende Kanzel auf einem fünf Meter hohen Gestänge empor. Auf der Kanzel stand, sich am schmalen Geländer an der Seite mit einer Hand festhaltend, ein feuerroter Teufel, ein im Lichte glitzernder, behufter und gehörnter
Don Giovanni
.
    Seinen Degen hatte er nicht dabei. Wo hätte er ihn auch befestigen sollen? Denn
Don Giovanni
war splitterfasernackt. Doch dieser Umstand war noch harmlos im Vergleich mit einem anderen, noch beeindruckenderen Detail.
    Sein Schwanz war erigiert.
    Raimondi stand dort oben, die Hände in die Hüfte gestemmt, mit dem Huf scharrend, im Gesicht ein animalisches, überlegenes Lächeln.
    Das war genau nach Raimondis Geschmack. Er würde die ganze Welt heute Abend mit seinem Auftritt schocken. Er würde das Tagesgespräch der kommenden Woche, die sagenhafte Legende späterer Generationen von Theaterleuten und -schülern sein. Er machte sich an diesem Abend unsterblich. Er war auf Sendung. Niemand würde ihm diesen Triumph rauben können.
    Und jetzt war auch klar, wieso Takahashi diese Rolle nicht hatte spielen können. Völlig entblößt, sichtbar erregt, und das unter den Augen von Millionen Zuschauern. Niemals hätte er sich bei der zurückhaltenden Art seiner Landsleute, der Kultur, der auch er verpflichtet war, damit als ernsthafter Künstler und Bariton behaupten können.
    Wenn Kilian nicht die Augen aus dem Kopf gefallen wären, hätte er sehen können, dass mit ihm alle Sänger auf der Bühne und das gesamte Publikum den Atem anhielt.
    Es war unfassbar. Raimondi als wiederauferstandener
Don Giovanni
, die Botschaft seines Lebens verkündend. Die Erektion als Zeichen der männlichen Überlegenheit über den Tod hinaus; eine Drohung an alle emanzipierten Frauen dieser Welt. Geschrieben und komponiert von einer Frau, die sich soeben vor der Weltöffentlichkeit selbst befreite, sich über die Vorurteile ihrer männlichen Kollegen hinweghob. Auch für Franziska war es ein Triumph. Kühl mit den Händen ihr Orchester jonglierend, blickte sie hinauf zu ihrem Werk, dem unzerstörbaren Eros eines Mannes. Doch die Arie hatte soeben erst begonnen.
    Das Thema zu Rispettate wurde dreimal wiederholt. Raimondi atmete tief ein, bereitete sich auf seine Arie vor. Franziska blickte nach oben, gab ihm den Einsatz. Heinlein schlug das Kreuzzeichen. »O heilige Mutter Maria, bitte lass das nicht wahr sein.«
    Das war es aber. Raimondi stimmte die Arie Franziskas an:
     
    Rispettate voi il cazzo
    Rispettate ogni sprazzo
    Di calore sessuale
    E l’amore immorale
20
     
    Er sang Zeile für Zeile aus vollster Überzeugung. Raimondi spielte nicht, sondern er war ein wollüstiger Minotaur, ein allgewaltiger Zeus, ein brünstiger Bock, ein gieriger Faun, ein geiler Hengst, ein läufiger Hund, ein hungriger Hurenbock, schlicht: die Fleisch gewordene, schamund reulose Inkarnation grenzenloser Begierde, Lust und Ekstase.
    An seinen Füßen, um die Kanzel herum, brannte ein Ring aus Feuer, gespeist von einer Leitung, die unter die Hebebühne reichte. Kleine Flammen erhoben sich zu größeren, je nach Vorgabe der Musik von Franziska und je nachdem, wie der Mann am Anfang der Gasleitung das Rädchen drehte.
    Das war also der Special Effect, von dem Reichenberg gesprochen hatte. Die Sache sah nicht ungefährlich aus. Wenn Raimondis Haut nicht von dieser roten Paste mit dem Brandhemmer geschützt worden wäre, hätte sich Kilian ernsthaft Sorgen machen müssen. Gar zu leicht konnte er dem Feuer zu nahe kommen und daraus eine nicht unerhebliche Verbrennung resultieren.
    Die Arie neigte sich dem Ende zu. Raimondi sah ein wenig erschöpft aus. Kein Wunder, dort oben unter den Scheinwerfern und inmitten dieses Rings aus Feuer war es bestimmt siedend heiß und frische, unverbrauchte Luft knapp.
    Dennoch, Raimondi hielt seine Manneskraft bis zum Schluss aufrecht. Franziska erlöste ihn mit dem Schlussakkord, zweimal wiederholt, ein furioser Ritt durch die Hölle war zu Ende.
    Mit beiden Händen in die Hüfte gestemmt, stand er dort oben, blickte erhaben, selbstverliebt, wie nicht von dieser Welt überlegen herunter. Trotz aller Anzüglichkeit eine
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