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Der gelbe Tod

Titel: Der gelbe Tod
Autoren: Robert W. Chambers
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Polizei folgte ihnen. Ich verließ die Menge, um die weiße, marmorne Todeskammer zu bestaunen und ging, nachdem ich die South Fifth Avenue überquert hatte, auf der Westseite dieser Durchfahrtsstraße in Richtung Bleecker Street. Dort wandte ich mich nach rechts und blieb vor einem schäbigen Geschäft mit der Aufschrift:
     
    HAWBERK, WAFFENSCHMIED
     
    stehen.
    Ich warf einen Blick durch den Eingang und sah Hawberk in seinem kleinen Laden am Ende des Korridors arbeiten. Er sah auf, und als er mich erblickte, rief er mit seiner tiefen, herzlichen Stimme: »Kommen Sie herein, Mr. Castaigne!« Constance, seine Tochter, erhob sich, um mir an der Türschwelle entgegenzukommen und streckte ihre hübsche Hand aus. Aber ich sah die Röte der Enttäuschung auf ihren Wangen und wußte, daß es ein anderer Castaigne war, den sie erwartet hatte, mein Vetter Louis. Ich lächelte über ihre Verwirrung und lobte das Panier, das sie nach einer farbigen Vorlage stickte.
    Der alte Hawberk nietete die abgenutzten Beinschienen einer alten Rüstung und das ting! ting! ting! seines kleinen Hammers klang angenehm in dem vertrauten Laden. Kurze Zeit später legte er den Hammer nieder und hantierte einen Augenblick lang mit einem winzigen Schraubenzieher. Das leise Rasseln des Kettenpanzers ließ mich vor Freude erschauern. Ich liebte die Musik, die beim Aneinanderstreifen von Stahl gegen Stahl entsteht, den sanften Schlag des Holzhammers auf Schenkelstücke und das Klirren von Kettenpanzern. Das war der einzige Grund für meine Besuche bei Hawberk. Er hatte mich nie persönlich interessiert und Constance ebensowenig, abgesehen von der Tatsache, daß sie in Louis verliebt war. Das beschäftigte meinen Geist und hielt mich sogar manchmal nachts wach. Aber im Herzen wußte ich, daß alles gut werden würde und daß ich ihre Zukunft gestalten würde, so wie ich die meines freundlichen Doktors, John Archer, zu gestalten hoffte. Ich hätte mir jedoch nicht die Mühe gemacht, sie ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt zu besuchen, hätte nicht, wie ich schon sagte, die Musik des klingelnden Hammers diese starke Anziehung auf mich ausgeübt. Ich konnte stundenlang so sitzen und lauschen und lauschen, und wenn ein verirrter Sonnenstrahl auf die Einlegearbeit im Stahl fiel, dann rief das in mir ein Gefühl hervor, so leidenschaftlich, daß ich es kaum ertragen konnte. Meine Augen blickten starr und weiteten sich mit einer Freude, die jeden einzelnen Nerven bis zum Zerspringen anspannte, bis eine Bewegung des alten Waffenschmiedes den Sonnenstrahl abschnitt. Dann lehnte ich mich, innerlich noch immer zitternd, zurück und lauschte wieder dem Geräusch des Polierlappens, mit dem er zisch! zisch! den Rost von den Nieten rieb.
    Constance arbeitete an der Stickerei auf ihren Knien, die sie von Zeit zu Zeit unterbrach, um das Muster auf dem Farbbild des Staatsmuseums näher zu betrachten.
    »Für wen ist das?« fragte ich.
    Hawberk erklärte, daß er neben den Waffenschätzen des Staatsmuseums, dessen beauftragter Waffenschmied er war, mit der Wartung einiger Sammlungen reicher Kunstliebhaber befaßt war. Dies hier war die fehlende Beinschiene einer berühmten Rüstung, die einer seiner Kunden in einem kleinen Laden in Paris am Quai d’Orsay aufgespürt hatte. Er, Hawberk, hatte die Verhandlung geführt und die Beinschiene sichergestellt, und nun war die Rüstung vollständig. Er legte den Hammer nieder und las mir die Geschichte der Rüstung vor, die seit 1450 von Besitzer zu Besitzer zu verfolgen war, bis sie in den Besitz von Thomas Stainbridge überging. Als seine hervorragende Sammlung verkauft wurde, erwarb dieser Kunde Hawberks die Rüstung, und von da an wurde die Suche nach der fehlenden Beinschiene betrieben, bis sie, fast durch einen Zufall, in Paris aufgespürt wurde.
    »Haben Sie die Suche so hartnäckig fortgesetzt ohne die Gewißheit, daß die Beinschiene noch existierte?« fragte ich.
    »Natürlich«, erwiderte er gelassen.
    Hier ergriff mich zum ersten Mal ein persönliches Interesse für Hawberk.
    »Sie hofften auf guten Lohn«, vermutete ich.
    »Nein«, antwortete er lachend, »meine Belohnung war die Freude, es zu finden.«
    »Haben Sie nicht den Ehrgeiz, reich zu sein?« fragte ich lächelnd.
    »Mein einziger Ehrgeiz ist es, der beste Waffenschmied der Welt zu sein«, entgegnete er würdevoll.
    Constance fragte mich, ob ich den Feierlichkeiten an der Todeskammer beigewohnt hätte. Sie selbst hatte am Morgen bemerkt, daß Kavallerie den
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