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Der Geiger: Kriminalroman (German Edition)

Der Geiger: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Geiger: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Mechtild Borrmann
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ausgesucht höflich, den Raum zu verlassen. Sie machte keine Anstalten, ihren Platz zu räumen, schien ihn gar nicht gehört zu haben.
    »Sascha Ossipowitsch«, sagte Domorow freundlich, »ich habe meinen Teil der Abmachung erfüllt. Geben Sie mir den Brief. Ich weiß, dass Sie ihn bei sich haben. Kyrill wird Sie und die Geige zum Flughafen fahren.«
    Saschas Blick wanderte zwischen Kopejew und Domorow hin und her. Etwas spielte sich zwischen diesen beiden Männern ab.
    Ohne darüber nachzudenken, sagte Sascha: »Meine Familie. Ich kann nicht gehen, ohne zu wissen …« Noch während er sprach, wusste er plötzlich, dass es in seinem Leben immer nur darum gegangen war. Ein Unfall, hatten alle gesagt, aber er hatte die näher kommenden Lichter in der Heckscheibe, die Stöße, als der fremde Wagen immer wieder auf ihr Auto auffuhr, das Krachen von Metall auf Metall und die Schreie im Wageninneren nie vergessen. Dieser Tag, an dem er den Boden unter den Füßen verloren hatte und Planet Sascha geworden war.
    Für einen Moment schien alles in der Schwebe, dann nickte Domorow. »Erzählen Sie, Kopejew«, sagte er ruhig und ohne den Mann anzusehen.
    Als der schwieg, begann Domorow.
    »Als der Rechtsanwalt Ihres Vaters sich an das Ministerium wandte und die Kopie des Briefes auf seinem Schreibtisch landete«, dabei deutete er mit dem Kinn auf Kopejew, »hat er den eigentlichen Wert, nämlich den Hinweis auf Schermenko, erkannt. Kopejew konnte den Brief nicht benutzen, ohne selber in Schwierigkeiten zu geraten, aber er fand eine andere Lösung.« Domorow schwieg einen Moment und sah Kopejew abwartend an. Dann sprach er weiter. »Er beauftragte jemanden in Deutschland, und ich erhielt eine Briefkopie mit der freundlichen Aufforderung, eine Million Dollar für das Original zu zahlen. Unterschrieben war sie mit Ossip Iljitsch Grenko, und ich dachte, so sicher fühlt er sich also im fernen Deutschland.«
    Sascha spürte, wie sich sein Magen zusammenzog. Kopejew saß erhobenen Hauptes da, schien völlig unbeeindruckt.
    Domorow sah Sascha direkt an. »Es ging mir nicht um das Geld. Mein Vater stand in der Schuld Ihres Großvaters, aber er hatte sie beglichen, hatte alles getan, um Ihren Großeltern zu helfen. Er hatte dafür gesorgt, dass Ihre Großmutter diese letzten Zeilen ihres Mannes überhaupt erreichten, und in den Jahren danach suchte er nicht nur weiter nach der Geige, er sorgte auch dafür, dass Ihre Großmutter nach dem Unfall die beste medizinische Versorgung bekam. Es ging um seine und meine Ehre.«
    Sascha schnappte nach Luft, starrte Domorow ungläubig an. Der wich seinem Blick aus, sah zu Kopejew. »Sie hatten gleich zwei Probleme gelöst, nicht wahr. Zum einen konnten Sie sicher sein, dass niemand mehr nach dem Verbleib der Geige forschen würde und Sie sie irgendwann zu Geld machen könnten. Und außerdem konnten Sie davon ausgehen, dass ich den Originalbrief vernichten würde. Der einzige Beweis dafür, dass Ilja Wassiljewitsch Grenko in Workuta war.«
    Kopejew verzog keine Miene, und doch ging eine Art Zufriedenheit von seiner Haltung aus.
    Sascha fühlte, dass er zitterte. Er kannte das. Planet Sascha verlor die Umlaufbahn. Mit heiserer Stimme fragte er: »Vika?«
    Domorow sprach leise. »Fragen Sie Kopejew.«
    Als der weiter schwieg, sagte Domorow: »Fünf Millionen Dollar. Der Brief kam vor einer Woche. Auch der trug die Unterschrift Ihrer Schwester.« Er zögerte. Dann fügte er hinzu: »Es tut mir leid.«
    Sonja Kopejewa stöhnte auf, ihr Mann warf ihr einen kurzen zurechtweisenden Blick zu.
    Sascha war wie betäubt. Das also war die Wahrheit. Die Wahrheit war eine Lüge. Eine perfekt plazierte Lüge, eine gefälschte Unterschrift, hatte seine Familie ausgelöscht.
    Domorow ging auf Sascha zu. Sascha hob die Hand, hielt ihn auf Abstand.
    »Hören Sie, Grenko«, begann Domorow. »Erst als Sie hier in Moskau auftauchten und dann auch noch in mein Haus kamen, bekam die ganze Geschichte etwas Absurdes. Während unseres Gespräches, als Sie sagten, dass Ihre Eltern und Ihre Schwester sich an das Ministerium gewandt hatten, und als sich zeigte, dass Sie keine Ahnung von den Geldforderungen in der Vergangenheit hatten, wusste ich, dass etwas ganz anderes vorgegangen war.«
    Sascha dachte an die Begegnung mit Domorow. »Meine Hilfe«, hatte der gefragt, »in welcher Höhe denn?«

Kapitel 36
    E ine wattige Stille lag im Raum, eine Stille, in der Sascha nur seinen Herzschlag wie aus weiter Ferne wahrnahm. Er
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