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Der geheime Stern

Der geheime Stern

Titel: Der geheime Stern
Autoren: Nora Roberts
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der Bibliothek lag ihr dickes Adressbuch, und Seth würde es Name für Name durchgehen, genauso wie er zu dem Ferienhaus in den Bergen von Maryland fahren würde.
    Aber zunächst hatte er etwas anderes zu tun. Er musste eine von Graces Freundinnen oder ein Mitglied der Familie bitten, die Leiche zu identifizieren. Und er bedauerte es – ungewöhnlich genug für ihn –, dass jemand, der sie geliebt hatte, in dieses zerstörte Gesicht sehen musste.
    Er ließ den Morgenmantel fallen, warf einen letzten Blick in den Raum mit dem riesigen Bett, den umgestoßenen Vasen, den zertrampelten Blumen und den Scherben der schönen antiken Parfumflaschen, die glitzerten wie Juwelen. Er wusste schon jetzt, dass der Duft in diesem Zimmer ihn genauso verfolgen würde wie das perfekte Gesicht auf dem Porträt.
    Es war bereits dunkel, als er zurückkehrte. Es war nicht ungewöhnlich für ihn, Überstunden zu machen. Seth hatte kein nennenswertes Privatleben, und er vermisste es auch nicht. Die Frauen, mit denen er sich gelegentlich traf, wählte er stets mit Bedacht. Er sorgte dafür, dass sie nicht auf die Idee kamen, an eine ernsthafte Beziehung zu denken, und er machte niemals irgendwelche Versprechungen.
    Ihm war klar, dass er jetzt nicht mehr viel am Tatort ausrichten konnte. Eigentlich sollte er in seinem Büro sitzen oder noch besser: nach Hause gehen und sich ausruhen. Aber irgendetwas hatte ihn wie magisch zurück zum Tatort gezogen. Nun, wenn er ehrlich war, hatte es ihn einfach nur zurück zu dieser Frau gezogen.
    Zu dem Gesicht auf dem Porträt.
    Er parkte sein Auto am Anfang der Auffahrt und lief im Schutz der großen alten Bäume und sorgfältig beschnittenen Hecken zum Haus. Dann schlüpfte er durch die Eingangstür und drückte auf den Lichtschalter. Der riesige Kristalllüster im Eingangsbereich funkelte auf.
    Seine Leute hatten bereits mit der Befragung der Nachbarn begonnen, in der Hoffnung, dass einer von ihnen etwas gehört oder gesehen hatte.
    Der Gerichtsmediziner kam nur langsam voran, kein Wunder. Wegen des Feiertages arbeiteten sie alle in Minimalbesetzung. Die Berichte würden also etwas länger dauern als üblich.
    Doch das war es nicht, was so sehr an ihm nagte. Unwillkürlich lief er zurück zu dem in Öl gemalten Porträt, das über dem gekachelten Kamin hing.
    Grace Fontaine war geliebt worden. Er hatte nicht gewusst, wie tief Freundschaften sein konnten, bis er die Verzweiflung und den Schmerz in den Gesichtern ihrer Freundinnen gesehen hatte.
    Zwischen Bailey James, M.J. O’Leary und Grace Fontaine hatte es eine ganz besondere Verbindung gegeben. Jetzt tat es ihm leid, dass er den beiden Frauen die Todesnachricht so grob überbracht hatte.
    Herzliches Beileid .
    Diese Worte benutzte die Polizei regelmäßig, um den Tod zu beschönigen, der oft gewaltsam war, aber auf jeden Fall immer unerwartet. Er hatte diese Worte gesagt wie schon so oft in der Vergangenheit und dann beobachtet, wie die zierliche Blonde und die katzenäugige Rothaarige regelrecht zusammengebrochen waren. Wie sie sich in die Arme gesunken und einfach zusammengebrochen waren.
    Die beiden Männer, die sich als ihre Beschützer aufspielten, hätten ihn gar nicht erst bitten müssen zu gehen. Ihm war klar gewesen, dass es an diesem Abend keine Fragen, keine Aussagen, keine Antworten mehr geben würde. Kein einziges seiner Worte hätte die dicke Mauer der Trauer durchdringen können.
    Grace Fontaine ist geliebt worden, dachte er noch einmal, während er in die spektakulären blauen Augen blickte. Nicht nur von Männern begehrt, sondern von Frauen geliebt. Was steckte hinter diesen Augen, hinter diesem Gesicht, das diese bedingungslose Zuneigung verdiente?
    “Wer zum Teufel bist du?”, murmelte er. Sie antwortete ihm mit ihrem offenen, einladenden Lächeln. “Zu schön, um wahr zu sein. Und dir deiner Schönheit viel zu sehr bewusst, um sanft zu sein.” Seine tiefe Stimme, heiser vor Müdigkeit, hallte durch das leere Haus. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und begann, auf und ab zu wippen. “Und zu tot, als dass dich das interessieren könnte.”
    Obwohl er sich von dem Porträt abwandte, hatte er das unangenehme Gefühl, von Grace Fontaine beobachtet zu werden. Abschätzig.
    Er musste noch mit ihren nächsten Verwandten sprechen, einer Tante und einem Onkel in Virginia, die sich nach dem Tod ihrer Eltern um sie gekümmert hatten. Die Tante verbrachte den Sommer in einer Villa in Italien und war heute Abend telefonisch
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