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Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar
Autoren: Ron Leshem
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wilden Augen und kohlrabenschwarzem, schütterem Haar, das von einem weißen Tuch zusammengehalten wurde, dem ein intensiver greisenhafter Wäschegeruch entströmte.
    «Willkommen, junger Mann», rief sie aus, «sehr erfreut», und beschnüffelte mich mit einem konzentrierten, neugierigen Gesichtsausdruck.
    «Kami», erwiderte ich, «sehr angenehm.»
    «Schön, das wird sicher nett mit dir. Ich bin nämlich jeden Tag zum Frühstück hier», erklärte sie und bat mich, ihren Aufzug zu entschuldigen, zu dieser frühen Stunde sei sie immer ganz schlicht in Trainingsanzug und schwarzer Jacke unterwegs und mit Strohkorb, denn sie sei gerade eben von der Yoga- und Stretching-Gruppe im Sa’i-Park zurückgekehrt. Ich sei eingeladen, mich anzuschließen. Ich könne sie im Amphitheater bei den Japanischen Gärten finden, der Lehrer sei hervorragend, betonte sie und beklagte dann, dass sie es leider eilig habe. Vor lauter Eile blieb sie stehen und redete weiter, als wollte sie mir eine Gunst erweisen, überschüttete mich mit einer Unzahl an Geheimnissen aus ihrem bewegten Leben. Zum Beispiel, dass sie sich, wie es sich für eine gewitzte Händlerin gehöre, nie erlaube, zu spät zu kommen, ihre Uhren waren der Menschheit um eine halbe Stunde voraus. «Gute Idee, was? Du darfst sie übernehmen, mein Freund», verkündete sie und wartete darauf, mich begeistert zu sehen. Wenn sie nach ihrem Alter gefragt werde, verriet sie dann, pflege sie zwei Jahre draufzuschlagen, Hauptsache, man sagte: Sie sehen aber hervorragend aus! Und das sagten sie tatsächlich. Sie sei dreiundsiebzig, teilte sie mit Genugtuung mit.
    «Vor oder nach Abzug?», erkundigte ich mich.
    «Das musst du selbst erraten.»
    Ich wagte es nicht.
    «Hast du gewusst, dass ich Richterin am Obersten Gerichtshof war?»
    «Nein.»
    «Also, das war ich», verkündete sie mit Stolz. «Heutzutage ist man in unserem Staat irrtümlich der Meinung, Frauen seien zu empfindsam, um einen Verbrecher am Stadtplatz aufzuhängen. Vielleicht lohnt es sich, dass du dich mir bei Gelegenheit einmal anschließt, Kami, mein Freund, und mich im Geschäftsoutfit siehst, wie ich an einem gewöhnlichen Tag außer mich geraten kann, dann kannst du selbst urteilen, wer hier fähig ist, jemanden aufzuhängen.»
    Ich war erstaunt. War sie wirklich Richterin am Obersten Gerichtshof gewesen? Ich äußerte keinen Zweifel und fürchtete schon, ich hätte ihr vielleicht nicht die erforderlichen Höflichkeiten angedeihen lassen, doch ein hintergründiger Blick von Zahra sowie ein zarter Wink mit ihrem Kopf deuteten an, dass man nichts Genaues wusste.
    «Womit beschäftigen Sie sich heute?», fragte ich.
    «Ich verkaufe Lottoscheine im Untergrund», teilte sie mir zufrieden mit.
    Mir schien, als lächelte ich zu viel. «Äußerst interessant», sagte ich.
    «Ich ernähre mich mit Anstand», betonte sie, «meine Geschäfte werden mit einem Café Latte im Starcups eröffnet und mit einem Mittagessen im Kabuki Fried Chicken fortgesetzt, ein gutes Leben, nichts zu klagen. Amerika.»
    «Weltweite Geschäfte», gratulierte ich ihr, und sie beeilte sich zu bemerken, dass man ihr, wäre sie nur interessiert, schon längst eine Beschäftigung überall auf dem Planeten beschafft hätte, doch für sie sei es hier in Teheran am besten. Ein Leben in einer allzu ruhigen Stadt, nehmen wir zum Beispiel einmal an, Toronto, würde ihr sicher nicht gefallen. Wenn es ringsherum überhaupt nichts Erschütterndes gebe, wenn die Luft so gar nicht explosiv sei, dann sei das nichts für sie. Nach all den Jahren sei sie süchtig nach Explosionen, gestand sie, Orte, die als Idylle daherkämen, verursachten ihr schrecklichen Stress. Künstlich und verlogen seien solche Orte. Sie brauste auf, entschuldigte sich aber gleich. Doch sie sei ohnehin zu wichtig, als dass man sie an den Grenzübergängen einfach so hinauslassen würde, man würde sie sicher noch vor dem Passkontrollschalter in Handschellen legen. «Dieser Abschaum», sagte sie und ging zur Toilette.
    Wir blieben in der Küche zurück, Zahra und ich, schmunzelnd über den stürmischen Geist der alten Dame wie heimliche Verbündete. Ich fragte flüsternd: «Wie kommt es eigentlich, dass sie überhaupt noch am Leben ist, ich meine, wenn sie eine so wichtige Persönlichkeit in der vorigen Regierung war, warum hat man sie nicht hingerichtet?»
    «Es gibt so viele Fragen, mein lieber Kami, und es weiß sowieso keiner, auch du wirst deiner Neugier noch müde werden.»
    «Wenn
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