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Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar
Autoren: Ron Leshem
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würde. Ich versuchte, dem zu entkommen, doch das war nur der Anfang. Der Staat stand in Flammen, das Kino war tot, wer brauchte eine Schauspielerin, wer braucht künstliche Impulse und berechnete Stimulierungen durch die Unterhaltungsindustrie, wenn die Massen ein eigenes, echtes Feuer haben? Ein Ereignis jagte das nächste, es blieb keine Sekunde Zeit zu verdauen, eine ganze Welt hatte sich schlagartig geändert.» Sie blätterte in den Seiten. Hundertachtzig Kinos waren innerhalb von neun Monaten abgebrannt oder geschlossen worden. Das Diana, das Radio City, all die Lichtspielhäuser, von denen sie geträumt hatte. Und die Presse gewöhnte sich daran, war schon gelangweilt, es gab nur noch kleinspaltige Meldungen – noch ein Kino gefallen – und Getuschel – da, das Symbol der westlichen Vergiftung, der Flachheit, Zügellosigkeit, kulturellen Degeneration, wird endlich ausgerottet. «Ich, die ich alles gegeben und sie so sehr geliebt habe, ich war nun ein Symbol der Entartung», sagte sie aufgebracht. «Und ein Jahr später war ich ein Nichts, plötzlich nicht mehr existent, wer hätte das je gedacht?»
    Arian war es, der die Zeitungsausschnitte gesammelt hatte. Zahra war dagegen gewesen. Sie schaute sie sich erst Jahre später wieder an, als er sie allein zurückgelassen hatte. Inzwischen hatte sie Auftrittsverbot. Die Regisseure, die Freunde hatten sich ihr längst entzogen, niemand erwiderte einen Anruf – die Zensur des Regimes war schlimm, doch die Selbstzensur der Künstler war noch viel grauenhafter. «Auch die Emigranten waren schlimm», erklärte sie, «haben sich einfach übers Meer davongemacht. Aber vielleicht haben wir im Prinzip gar kein Recht, ihnen etwas vorzuwerfen?»
    Jetzt, zwischen den Mauern des alten Mietshauses, schien der Absturz frisch wie gestern. Ich verstand nicht, weshalb ich mich schuldig fühlte, und es fiel mir schwer zu entscheiden, was ich mit meinen Händen anfangen und wie ich Interesse bekunden sollte, damit sie weitererzählte. Was durfte man fragen? Und wie war die Stimmung auf den Straßen, als alles auseinanderbrach? Würde es auch mich irgendwann in meinem Leben in einen solchen Sturm verschlagen? In ein Kapitel der Geschichte, das zwischen den Häusern, zwischen deinen Beinen hindurchpfeift, sozusagen live, ein tobender Strudel, der alle mitreißt? Eine neue Welt? Allein bei der Vorstellung, dass du Zeuge einer Veränderung der Menschheit bist, gerät dein Blut in Wallung. Der Mensch muss sich als Zeuge fühlen, einmal in seinem Leben, um zu wissen, dass er lebt.
    Die Fotoalben lagen zwischen uns auf dem kleinen Tischchen, Zahras Augen wanderten von ihnen zu mir, mit kokettem grünäugigem Blick, hoffend, ich würde mir die Bilder ansehen wollen, fürchtend, ich würde nicht glauben, was für eine Größe sie gewesen war. Also begann ich zu blättern. «Dieses Volk ist zu romantisch», seufzte sie, «das ist das ganze Problem.» Ich verstand nicht, was genau das Problem war, doch ich bemühte mich, Fragen zu stellen. Sie glich weder der Tante aus den Geschichten noch dem Star der Gerüchte. Aber sie war schön. Ihr schwarzes Haar, das über die weichen Kissen glitt, sah exakt so aus wie auf den leblosen Bildern, die mir durch das raschelnde Zellophan hindurch und von den Wänden in der Diele entgegenblickten. Es hatte einen fast kindlichen Geruch, ich fand es sexy, wie er sich über all die Jahre offenbar nicht verändert hatte.
    Zahra schenkte Ananassaft in zwei kleine Gläser. Ihr Wagen, ein roter Peykan, sei schon seit zwanzig Jahren unter einer Staubschicht erstarrt, beklagte sie sich, er stehe unten, nur eine Minute von hier, am Straßeneck gestrandet. «Wenn du mal die Energie hast, einen Blick draufzuwerfen, Kami, wäre ich sehr dankbar.» Sie errötete. «Vielleicht gelingt es dir, ihn zu reparieren?»
    «Ich werd’s versuchen», versprach ich. Und freute mich.
    Chamad, der Kater, rollte sich neben ihr auf einem Schemel zusammen, sie kitzelte ihn am Hals und hinter den Ohren, und er schnitt Grimassen wie jemand, der still leidet. Mir schien, als zwinkerte er mir dabei zu und fragte: Bei Allahs Leben, wie sind wir beide bei dieser Verrückten gelandet?

2
    Ein nachdrückliches Klopfen an der Tür und der Geruch französischer Zigaretten kündigte das Eintreffen der Mieterin aus dem Erdgeschoss an. Zahra machte uns miteinander bekannt. «Frau Safureh, Safureh Mahdis.» Ein hageres Gesicht, hochmütige Nase. Vor mir stand eine Frau mit sehr dunkler Haut,
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