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Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar
Autoren: Ron Leshem
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Abhängigkeit von ihm stärker geworden. Meine Sorge um ihn und die Liebe, nur Allah weiß, wohin das geführt hätte. Er betrat das Haus mit einem Geschenkpäckchen und einem riesigen Rosenstrauß, weinrot und weiß, wie ich es liebe. Ich sagte zu ihm, keine Zeit, keine Zeit, öffnete nicht einmal die Schachtel, ließ ihn den Koffer gar nicht auspacken. Es war der Abend der Premiere im Rex. Er verzog das Gesicht, doch ich versprach, ihn anschließend zu entschädigen. Es war glühend heiß, am liebsten hätten wir uns mitten auf der Straße ausgezogen, aber ringsherum herrschte eine beunruhigende Atmosphäre, irgendwie brütend, als zöge ein Sturm auf. Doch wer hatte schon Zeit, darauf zu achten? Bei uns war alles bestens. Die lokale Presse wartete bereits auf uns, die Leute drängten sich auf der Treppe, die zum Saal hinaufführte. Ich hörte ein paar enthusiastische Rufe, und wir gingen hinein. Ich schritt dahin, ein einziges Strahlen, suchte in den Reihen die hungrigen Augen, das Getuschel, das mir galt – da ist sie, da ist der Star –, und die Brauen, die sich in meine Richtung hoben. Ich liebte es. Wir setzten uns. Aber es verging keine Minute, bis Arian flüsterte, er könne nicht mehr, er müsse mich küssen, sofort, unbedingt. Er wartete, bis die Lichter ausgingen, und dann zog er mich nach draußen. Wir rannten die Treppe hinunter zu einer dunklen Ecke in der ersten Etage des Geschäftszentrums. Du versäumst den ganzen Film, beklagte ich mich, doch meine Lippen waren ihm wichtiger. Als wir zum Eingang zurückkehrten, standen draußen zwei Polizisten und bewachten die Türen. Arian bat sie, uns zu öffnen, man warte schließlich drinnen auf uns, doch sie weigerten sich mit Nachdruck, erklärten, es sei ihnen untersagt. Man habe ein paar verdächtige Subjekte bemerkt, die hineingegangen seien, und bevor nicht der Polizeikommandant mit Verstärkung eintreffe und eine gründliche Suche im Publikum durchführe, gehe keiner hinein oder hinaus, so lautete der Befehl. Ich fragte: Warum riecht es denn hier nach Rauch? Sie antworteten, offenbar hätten die Verdächtigen ein kleines Feuer gelegt, in der Hoffnung, sich im Schutz der Massenpanik davonzustehlen. Also standen wir dort und warteten. Und das Feuer brach aus. Ich habe keine Ahnung, wie die Zeit verging, was wir dachten, worüber wir sprachen, aber die Minuten verrannen, und der Saal brannte. Ich erinnere mich an den Fahrer eines Lieferwagens, der verlangte, die Schlösser aufzubrechen, und sich mit den Polizisten anlegte, doch sie hinderten ihn daran, und wir, Arian und ich, standen davor wie ratlose, hilflose Kinder, begriffen nicht, wie groß und endgültig diese Nacht war, schauten nur wie erstarrt in die Flammen, die an den Wänden fraßen und sich nach draußen kämpften. Nach zwanzig Minuten kam die Feuerwehr. Aus den Schläuchen floss kaum Wasser. Endlich öffnete sich die Tür, und eine kleine Hügellandschaft aus schwarzer Asche kam zum Vorschein. Verbrannte, zerfallende Skelette. Vierhundertzweiundzwanzig Leichen. Vielleicht auch mehr. Hängt davon ab, wer sie gezählt hat.
    «Aber wieso sind sie nicht ausgebrochen, die Zuschauer? Warum haben sie nicht die Türen eingetreten und sie auf die Polizisten gekippt?»
    «Ich weiß es nicht. Sie sind auf den Stühlen sitzen geblieben und verbrannt. Wir haben die schwarzen Kadaverreihen durch die verzehrten Türen gesehen, als das Feuer gelöscht war. Und dann sind wir geflohen. Wir haben nicht einmal geweint in der ersten Nacht.»
    «Aber warum im Sitzen? Wieso denn im Sitzen? Welcher Mensch steht nicht auf und flieht, wenn das Feuer näher rückt?» Dieser frustrierende Gedanke machte mich schier wahnsinnig.
    «Ich weiß es nicht, vielleicht waren sie ohnmächtig oder tot, als das Feuer sie erreichte, Rauchvergiftung oder Gas, man sagt, dass die Klimaanlagen leckten und Freon auslief, keine Ahnung, wem man glauben soll. Bestimmt nicht der Untersuchungskommission. Vierhundertzweiundzwanzig Zuschauer, die sich in unsere Hände begeben hatten, die in ihren besten Kleidern gekommen waren und mit ihrem guten Geld bezahlt hatten, für uns, die auf uns vertraut haben. Vierhundertzweiundzwanzig. Bis zu den Zwillingstürmen in Amerika hat es keine so mörderische Terrorattacke gegeben. In den kommenden Monaten floh ich vor den Nachrichten. Die Journalisten wetteiferten um die grausamsten Titelbilder, kämpften darum, wer die ekelerregendsten Szenen bringen und wer den aufgeheizten Pöbel stärker entfachen
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