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Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar
Autoren: Ron Leshem
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verraten, alle Scheinwerfer im Stich gelassen, sie möchte sterben, sie ruft die ganze Zeit an, um zu sagen, dass sie sterben will. Grausam. Aber noch lebt sie.»
    «Wenn sie wirklich sterben will», fragte mein Vater, «warum ruft sie uns dann bei dem kleinsten Druckgefühl in der Brust an? Soll sie doch froh darüber sein! Wieso macht sie sich Sorgen?»
    Meine Mutter wurde böse, dass er mich im unpassendsten Moment aufhetzte, und zischte: «Sie ist deine Schwägerin, Behruz, hab ein bisschen Mitleid!»
    «Nein, ich habe kein Mitleid», erwiderte er aufgebracht und fuchtelte mit dem Messer herum. «Sie hat genug Mitleid mit sich selbst für uns alle zusammen. Und wieso ist es so schwierig für sie, Arian zu besuchen? Ist es ihr etwa zu weit – achtzehn Stationen mit der Metro für den Mann, der ihr alle Träume verwirklicht hat? Der sogar ein Mietshaus auf ihren Namen hinterlassen hat, der Schwachkopf, damit sie keine Sorgen hat, aber nein, sie verlässt das Haus nicht bei Tageslicht, damit sie von den Leuten, Gott bewahre, nicht mit Blindheit geschlagen wird, und sie durchquert natürlich ganz bestimmt nicht den schmutzigen Süden der Stadt für ihn bis zum Militärfriedhof. Sie sehnt sich nicht nach ihm, sie sehnt sich nach sich selbst. So sind sie, die Menschen, die den Himmel berührt haben. Glaub mir, Kami, du willst den Himmel nicht berühren, also berühr ihn nicht. Bei Allah, wenn sie sterben will, dann soll sie doch endlich.»
    Worauf Mama erwiderte: «Leg sofort das Messer hin.»
     
    Um Viertel nach sechs am Morgen, angekommen in der großen Stadt, ich saß auf den Stufen des Azadi-Kinos, da hasste ich Amir Teimuri. Ein Sänger mit einer Daf-Trommel richtete sich gerade unter einem rot blühenden Baum ein, verjagte die Tauben und wartete auf Kundschaft. «Sie haben ein hübsches Lächeln», sagte er zu mir, «nicht bei jedem ist das Lächeln hübsch, mein Herr», und lächelte. Wieso nannte er mich «mein Herr», ärgerte ich mich und lächelte überhaupt nicht. Ich setzte mich abseits an eine Mauer. Die neuesten Modelle von Sony Ericsson tanzten für mich auf einem riesigen Bildschirm. Wer braucht eigentlich sieben Etagen mit Werbung? Und wie seltsam war das, plötzlich ganz mutterseelenallein zu sein, wie nach einem lärmenden Schulausflug, der sich zerstreut hat. Es war schon immer ein beklemmendes Gefühl für mich gewesen, mich zu trennen und allein weiterzuziehen. Ich hoffte, dass es Amir noch saurer aufstieß.
    Ich verharrte unter Zahras Haus, drei Stockwerke mit Steinbalkonen verbargen sich hinter einem Pappeldickicht. Eine breite Fassade, große Türen mit weißen Eisengittern, beschmiert mit Fingerabdrücken. Und dahinter, im Treppenhaus, hing der Geruch nach regenfeuchter Straße wie aus einem Schwarzweißfilm, kühles Moos auf nassen Felsen, eigenartiger Moder wie in einer alten Bibliothek, und ein Hauch von übertrieben süßem Parfüm lag in der Luft. Ich fragte mich, ob das romantisch war. Auch die aufdringliche Duftnote einer Katze machte sich bemerkbar. Es gab eine Reihe grauer Türen und weißer Wände. Blumentöpfe mit Kletterpflanzen und schiefe Bücherregale ohne Inhalt standen unmotiviert zwischen den Stockwerken. Die Marmortreppen waren mit altem, bereits versteinertem Schmutz überkrustet. Da stand ich und fragte mich: Wie würde wohl das Leben bei ihr aussehen?
    Als ich es nicht mehr länger aushalten konnte, stieg ich ins letzte Stockwerk hinauf, zu der nackten Tür, die kein Schild aufwies. Obwohl ich nur zaghaft klopfte, öffnete sie sich sofort, hieß mich mit lautem Quietschen willkommen. Eine Menge großer Bilder – meine Augen schossen schnell in alle Richtungen –, ja, mein Vater hatte recht, an Zahras Wänden gab es mehr Erinnerungen an ihr eigenes Leben als an den verstorbenen Arian. Ich zählte das Verhältnis der Bilder zueinander, als wollte ich sie als böse Witwe entlarven und damit beweisen, dass sie tatsächlich eine erstarrte Seele war. Doch die Frau, die mich in die Wohnung führte, lächelte mich mit verwundbaren Augen an, dem Blick eines stillen kleinen Mädchens, herzerweichend. Ihre Stimme klang melodiös, sie sang fast in ihrem Bemühen, die Spannung der ersten Begegnung zu lösen. Wir drehten eine Besichtigungsrunde durch die Wohnung. Der Salon war in dunklen Tönen und in Samt gehalten. Der Balkon versank im Dunst, obwohl die Straße unten nicht belebt war, doch die Vögel auf dem orangefarbenen Baum davor zwitscherten direkt herein, und am
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