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Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar
Autoren: Ron Leshem
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Berge ausnahmen, von denen die Stadt umschlossen war – die Berge warteten still auf den Schnee, und die Sonne knallte auf die Wolkenkratzer, die einander mit weiß phosphoreszierenden Flecken blendeten.
    Der Geruch nach heißem Kebab drang mir noch vor den morgendlichen Verkehrsstaus in die Nase, und ich verlängerte den Weg mit überflüssigen Schlenkern, kroch so langsam, wie ein Mensch einem Neuanfang überhaupt nur entgegenkriechen kann, denn es ist nicht schön, um sechs Uhr morgens an die Tür einer fremden Frau zu klopfen – ältere Frauen wachen zwar früh auf, doch berühmte Frauen spät, und ich hatte keine Ahnung, zu welcher Sorte Zahra gehörte.
    Einige Stunden zuvor das letzte Abendessen mit meinen Eltern. Mamas Choreschte Karafs mit Rind in Selleriesauce und Minze, gewürzt mit Safran, aber nicht scharf. Und Mais. Und Fisch. Sie ist so pragmatisch, dachte ich, sie regt sich nicht genug auf, das ist ärgerlich. Oder vielleicht regt sie sich zu sehr auf und leidet still, weil sie es mir ersparen will.
    Ich war aufgewühlt und durcheinander, das Gespräch auf der Katschian-Brücke hallte noch in meinem Kopf wider, stach mir ins Herz. Ich wartete, bis meine Mutter den Mund voll hatte, und dann, in einem Moment der Stille, murmelte ich die Botschaft: «Amir Teimuri hat abgesagt, ich fahre allein.» Meine Mutter erhob sich sofort, ging zum Telefon und wählte ungeduldig, tuschelte anbiedernd in den Hörer: «Ich grüße dich, Zahra, Kami wird in der Früh bei dir eintreffen, ja, ich bitte dich sehr, ich danke dir sehr.» Und mein Vater senkte mit entschuldigendem Blick die Augen. «Zahra?» Ich fuhr in die Höhe. «Wieso denn Tante Zahra? Das geht nicht, ich habe schon einen Platz im Studentenwohnheim.»
    «Sie werden einen Ersatz für dich finden. Keine Diskussionen.» So bestimmte es meine Mutter; entschieden, aber mit ihrer verletzlich benachteiligten Stimme, die Entscheidungen vorbehalten war, die ihr wirklich wichtig waren und viel überzeugender als ihr für gewöhnlich stures und eigensinniges Gesicht. «Welcher Junge schläft denn allein im Studentenheim?», ereiferte sie sich und versuchte, mich zum Schweigen zu verdonnern. «Das ist überhaupt nicht schlimm, du wirst gern bei ihr wohnen, deine Tante wird dir ein wunderbares Zimmer zur Verfügung stellen, sie wird aufpassen, dass du dich nur im Nordteil der Stadt aufhältst und dass du nicht von irgendeiner Gruppe vereinnahmt wirst.» Dann schenkte sie mir Cola ein, füllte noch einmal die Teller, und kein Spalt tat sich in ihrem entschlossenen Blick auf. Überrumpelt steckte ich Schlag um Schlag ein, ergab mich kampflos. «Wohnt sie überhaupt im Uni-Viertel, diese Zahra?», fragte ich schließlich. «Ich kenne sie überhaupt nicht, ich habe diese Frau noch nie im Leben getroffen, und dem Klatsch nach, der über sie die Runde macht, ist sie ein verbittertes und ungeduldiges Geschöpf. Wieso muss ich bei ihr wohnen? Ich will allein dort sein. Das macht alles kaputt. Warum denn jetzt, im letzten Moment?»
    Doch ich versuchte, meine bittere Enttäuschung zu dämpfen. Ich bereitete meiner Mutter nicht gern Kummer, und welches Recht hatte ich schon, Einwände zu erheben, wenn meine Eltern die Familienersparnisse plünderten, um dem Sohn ihres Alters ein Studium in einer Stadt zu finanzieren, in der alles das Dreifache kostete, nur weil alle dreifach davon träumten, dort zu wohnen?
    Meine Mutter ging zum praktischen Teil über. Instruktionen. «Du darfst nicht so verträumt sein, Kami, versprich mir das. Und auch nicht so naiv, sonst werden sie dich verschlingen. Und lächele nicht so viel, denn das wird dich dort nicht vor den Fängen der Raubtiere retten. Lächeln zieht sie höchstens an, alle miteinander. Du bist eine leichte Beute. Ein verschlagener Wolf ist diese Stadt.»
    «Keine Sorge», nickte ich.
    «Und tu mir einen Gefallen, Kami, versuch nicht, Recyclingflaschen bei deiner Tante in der Wohnung einzuführen, es ist unverschämt, einer Frau wie Zahra mit deinem Gerede von der globalen Erwärmung in den Ohren zu liegen. Wieso sollte es sie auch kümmern? So wie die Erde mit ihr umgesprungen ist. Sie hat eine Katze, das ist mehr als genug, was ihren persönlichen Beitrag zur Natur angeht.»
    «Ja, Mama.»
    «Und stell viele Fragen, Kami, wenn ihr zusammen beim Essen sitzt, frag sie ganz viel. Das ist das Mindeste, was man für sie tun kann. Sie hat nichts außer Geschichten, und nach ihr wird auch nichts überdauern, alle Freunde haben sie
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