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Der Gastprofessor

Der Gastprofessor

Titel: Der Gastprofessor
Autoren: Robert Littell
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will sich per highfive von Lemuel verabschieden, erntet aber nur einen verständnislosen Blick.
    »Macht ihr in Rußland kein highfive nich, hm, Professor aus Petasburg?« erkundigt sich das Faktotum gutgelaunt.
    Lemuel dreht sich auf der Veranda um und sieht zu, wie der Kleinbus anfährt. Die roten Bremslichter flackern auf und verschwinden um die nächste Ecke. In der plötzlichen Stille hebt Lemuel die rechte Hand über den Kopf und blickt zu seinen Fingern auf.
    High. Five. Aha! Highfive.
    Die schneidende Luft dringt durch Lemuels Cordhosen und läßt seine Oberschenkel taub werden. Er dreht sich um und greift nach dem korrodierten Messing-Baseball, aber die Tür fliegt auf, bevor er damit an den korrodierten Messing-Baseballhandschuh klopfen kann. Eine Hand schießt aus einer gestärkten Manschette hervor. Kräftige Finger packen Lemuels khakifarbenes Halstuch und ziehen ihn hinein. Lemuel steigt ein vage nach Essig riechendes Deodorant in die Nase, er sieht nikotingelbe Zähne, einen verfilzten Bart, in der Luft tanzende gekringelte Schläfenlocken und helle, talmudische Augen, die in fleischlicher Neugier hervortreten. Die Tür fällt hinter ihm ins Schloß, und Lemuel, gegen seinen Willen in einen abenteuerlichen Wachtraum gezogen, kommt zu dem Schluß, daß er von Angesicht zu Angesicht keinem anderen als Jahwe gegenübersteht.
    Jahwe ist eher kleinwüchsig – er reicht Lemuel bis an die Schulterblätter-, aber kompakt gebaut, und offenbar Anfang dreißig. Er hat sich mit hohen Schnürschuhen und einem weißen Rüschenhemd ohne Krawatte herausgeputzt, das bis an seinen prachtvollen Adamsapfel zugeknöpft ist. Der Hals quillt schwielenartig über den oberen Rand des gestärkten Kragens, so daß dieser wie ein Hundehalsband wirkt. Außerdem ist Jahwe mit ausgebeulten schwarzgrauen Hosen, einer zerknitterten Weste und einem offenen, zipfelnden Jackett bekleidet. Über der Knollennase schießen Kakerlakenbrauen im fröhlichen Sturzflug aufeinander zu. Der Schwerkraft spottend, sitzt ein besticktes schwarzes Scheitelkäppchen hinten auf dem großen Kopf. Jahwe beäugt seinen Besucher durch kreisrunde, in Silber gefaßte Brillengläser, murmelt
    »Hekinah degul, hekinah degul« und lockt, indem er rückwärts tappend über durchgetretene Teppiche vor dem herannahenden Gast zurückweicht, Lemuel durch die Diele in das überheizte Haus.
    »Welche Sprache ist Hekinah degul?« erkundigt sich Lemuel.
    »Das ist Liliputanisch«, sagte Jahwe. »Frei übersetzt, bedeutet es ›Was in Dreiteufelsnamen‹. Ich vertrete die Theorie, daß die Liliputaner, metaphorisch gesprochen, möglicherweise einer der verlorenen Stämme Israels sind.« Jahwe beschreibt einen Halbkreis um Lemuel, mustert ihn von der einen, dann von der anderen Seite. »Ich bin’s, Ihr Kollege und Hausgenosse«, sagt er schließlich in krächzendem Singsang. Seine knochige Hand umklammert Lemuels behandschuhte mit eisernem Griff. »Ich pflege keine Umschweife zu machen, das ist nicht mein schtick. In akademischen Kreisen bin ich bekannt als Rebbe Ascher ben Nachman, der gnostische Zufallsforscher. In religiösen Kreisen kennt man mich als den Eastern Parkway Or Hachaim Hakadosch, den Gottesmann vom Eastern Parkway mitten im Herzen von Brooklyn. Um meinen Platz im rabbinischen Spektrum zu definieren: Ich bin das, was die Juden im Ghetto von Venedig als traghetto bezeichnet hätten – eine Fähre, eine Gondel, die durch die trüben Gewässer zwischen den Ultra-Orthodoxen und den Ultra-Unorthodoxen gleitet. Um mich im historischen Spektrum zu lokalisieren: Ich bin der letzte, aber nicht der geringste in einer langen Reihe von Rabbinern, die ihre Abkunft auf den illustren Mosche ben Nachman alias Ramban, er ruhe in Frieden, zurückführen, der um 1270 in Eretz Yisrael vor seinen Schöpfer trat.« Er nickt beifällig. »Sie geben sich sichtlich Mühe, nicht über Dinge zu lächeln, die Ihnen prätentiös vorkommen. Ihr Feingefühl macht den Eltern Ehre, die Sie aufgezogen haben.«
    Der Rebbe macht ein paar tänzelnde Schritte rückwärts, zieht ein riesiges Schnupftuch aus der Innentasche seines Jacketts und entfaltet es mit theatralischem Pomp; einen Moment lang glaubt Lemuel, sein Gastgeber werde eine weiße Taube oder einen zweiten Rosenstrauß hervorzaubern. Er ist enttäuscht, als Jahwe sich bloß geräuschvoll und virtuos mit einer Hand schneuzt, erst das eine, dann das andere Nasenloch.
    »Da Sie aus Rußland kommen«, sagt Jahwe mit plötzlich nasal
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