Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gastprofessor

Der Gastprofessor

Titel: Der Gastprofessor
Autoren: Robert Littell
Vom Netzwerk:
Lumpenproletariats« Lemuel kichert kurz in sich hinein und schlürft weiter seinen Tee durch den Zuckerwürfel.
    Der Rebbe läßt sich nicht beirren. »Mit einem Namen wie Falk sind Sie vielleicht beschnitten?«
    Besorgt, daß das Thema Männerbünde wiederaufgenommen werden soll, beschränkt sich Lemuel auf ein unverbindliches Grunzen.
    Der Rebbe läßt nicht locker. Er sieht Lemuel in die Augen und fragt: »Glauben Sie an die Thora? Fürchten Sie Jahwe?« Er artikuliert den geheiligten Namen Gottes, als wolle er Ihn herausfordern, ihn niederzustrecken für den Frevel, seinen Namen laut auszusprechen.
    »Woran ich glaube«, murmelt Lemuel, der keine Lust auf eine theologische Diskussion hat, »ist die Mathematik. Was ich liebe, ist reine Zufälligkeit. Was ich fürchte und verabscheue, ist das Chaos, obwohl ich zugeben muß, daß ich auf theoretischer Ebene von der Möglichkeit fasziniert bin, im Herzen des Chaos ein Quentchen Ordnung zu entdecken.«
    »Sagen Sie mir eins: Wenn Sie nicht an Jahwe und an die Thora glauben, in welchem Sinne sind Sie dann Jude?«
    »Ich habe nie behauptet, daß ich Jude bin«, sagt Lemuel achselzuckend. »Ich bin Jude in dem Sinne, daß, sollte ich es einmal vergessen, die Welt mich alle zwanzig, dreißig Jahre daran erinnert.«
    Der Rebbe nimmt einen tiefen Zug aus seinem Joint und hält den Rauch eine Zeitlang in der Lunge, bevor er ausatmet. »Wenn Sie immerhin so sehr Jude sind, daß Sie sich so leicht daran erinnern lassen«, sagt er mit einem listigen Glitzern im Auge, »wieso sind Sie dann nicht nach Eretz Yisrael gegangen?«
    Lemuel schneidet eine Grimasse. »Für mich ist Amerika, nicht Israel, das Gelobte Land.« Er schnaubt leise. »Ich habe einen Freund in Moskau, der hat mir geschworen, daß die Straßen hier mit Sony-Walkmans gepflastert sind.«
    »Der Großvater meines Vaters, er ruhe in Frieden, ist 1882 aus Polen rübergekommen und hat gedacht, sie wären mit Singer-Nähmaschinen gepflastert.«
    Der Rebbe zieht sich Rauch in die Lunge. Er hält die Luft zurück und bietet Lemuel den Joint an.
    Lemuel schüttelt den Kopf. »Ich bin allegorisch gegen Zigaretten.«
    Der Rebbe stößt den Rauch aus. »Das ist keine Zigarette. Zigaretten habe ich zu Chanukka aufgegeben, nachdem ich sechzehn Jahre lang zwei Schachteln pro Tag geraucht hatte. Das hier ist ein Joint. Gras. Marihuana. Mary Jane. Dope. Die Frau, die mich damit beliefert, nennt es Thailand-Trüffel.«
    Lemuel schnuppert genießerisch an dem Rauch, der wie eine Regenwolke über der Börsenseite hängt, und stellt fest, daß Marihuana erstaunlich angenehm riecht. »Entschuldigen Sie die …«
    »Ja?«
    »Ich frage mich, welche Sorte Rabbi Marihuana raucht.«
    »Ha! Nichts zu entschuldigen! Zum Glück für die Menschheit lassen sich die wenigen Auserwählten stets wie Eva im Garten Gottes, wie ihn der Prophet Hesekiel nennt, von verbotenen Früchten in Versuchung führen. In dem Sinne, wie sich Eva im Garten Eden gegen Gott auflehnte, rauche ich Marihuana. Dadurch kann ich besser zwischen Recht und Unrecht unterscheiden.« Der Rebbe bekommt glasige Augen, während er Lemuel noch einmal den Joint hinhält. »Ta’amu ure’u« , murmelt er. »Psalm 34, Vers 8. Frei übersetzt bedeutet das ›Schmeckt und seht‹.«
    Lemuel wehrt mit wedelnder Hand den Joint und den Rauch ab.
    Der Rebbe zupft am obersten Knopf seines Hemdes, lockert den Kragen, fährt mit einem Finger zwischen Kragen und Halsschwiele und zieht noch einmal kräftig an dem Joint. »Oj, oj«, murmelt er und wiegt dabei aufgeregt den Kopf, »dieses Eden, dieser Garten Jahwes, was ist er anderes als ein Sumpf von Zufälligkeiten? Wie kommt’s, daß Adam aus adamah, also aus Lehm, geformt wird und Eva aus einer Rippe? Wie erklärt es sich, daß Adam und Eva nur unter der Bedingung im Garten bleiben dürfen, daß sie nicht von einem bestimmten Obstbaum essen? Was, in Gottes Namen, hat Obst mit Gut und Böse zu tun? Und was ist wohl in Jahwes Kopf vorgegangen, daß er den Mord erfinden mußte?«
    »Jahwe hat den Mord erfunden?«
    »Die erste überlieferte Tötung in der Thora, wie wir sie nennen – die Gojim sagen Altes Testament dazu –, ereignet sich, als Jahwe ein Tier erschlägt, damit Adam und Eva ihre Blöße bedecken können. Ich spreche von Genesis 3, Vers 21. ›Und Gott der Herr machte Adam und Eva Röcke von Fellen.‹ Nähern wir uns dem Problem aus einer anderen Richtung: Welches verschlüsselte Signal sendet Gott den festangestellten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher