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Der Fromme Dieb

Der Fromme Dieb

Titel: Der Fromme Dieb
Autoren: Ellis Peters
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überschwemmt. Der Fährmann aber brachte seine Passagiere kräftig stakend ans andere Ufer; er war so mit seinen aufgewühlten Wassern vertraut, daß Flut, Sturm und Windstille keinen Unterschied für ihn machten.
    Auf der anderen Seite des Severn wand sich der Pfad durch nasse Wiesen, und der Fluß nagte bereits eine Elle weit vom Ufer ins bräunliche Wintergras. Wenn über dem walisischen Hügelland auf das Tauwetter heftiger Frühlingsregen folgte, so kam es zu Überschwemmungen unter den Stadtmauern von Shrewsbury, der Meole-Bach und der Mühlteich traten über ihre Ufer und bedrohten sogar das Hauptschiff der Klosterkirche.
    Das war zweimal geschehen, seitdem Bruder Cadfael dem Orden beigetreten war. Im Westen hing der Himmel jetzt schon blauschwarz und bedrohlich über den fernen Bergen.
    Sie umgingen das steigende Wasser unterhalb des dunklen Töpferackers, erklommen dankbar die sanfte Anhöhe bis hinauf in das gepflegte Wäldchen, das zum LongnerGut gehörte, und gelangten zu der Lichtung, auf der sich die Gutsgebäude, durch eine hohe Palisadenumfriedung vor den Westwinden geschützt, behaglich an den Hang schmiegten.
    Als sie durch das Eingangstor kamen, trat Sulien Blount gerade aus den Stallungen, um zum Wohnhaus zu gehen. Er trug als Arbeitskleidung Lederwams und Kniehosen. Wie es sich für einen jüngeren Bruder gehörte, leistete er auf dem Besitz des älteren Bruders seinen Teil, bis er Gelegenheit fand, einen eigenen Hof zu bewirtschaften, was er sicher einmal tun würde. Beim Anblick der drei Männer blieb er starr vor Staunen stehen, erkannte dabei sogleich seinen ehemaligen geistlichen Vorgesetzten, höchst befremdet, ihn hier, so fern von seinem Kloster, anzutreffen. Aber er eilte augenblicklich herbei und grüßte mit ehrfürchtiger, vielleicht sogar etwas ängstlicher Höflichkeit. Die Belastungen des letzten Jahres hatten ihn so weit von Kloster und Tonsur entfernt, daß die Begegnung hier in seinem Zuhause mit dem, was für ihn längst vergangen und abgetan war, einen Augenblick lang einer Bedrohung gleichkam, einer Bedrohung seines neuen und hart erkämpften Gleichgewichts und der Zukunft, die er für sich gewählt hatte.
    Nur einen Augenblick freilich. Sulien hatte keinen Zweifel an dem Weg, den er einschlagen wollte.
    »Vater Herluin, seid willkommen in meinem Zuhause! Es freut mich, Euch bei guter Gesundheit zu sehen und zu hören, daß Ramsey dem Orden zurückgegeben wurde. Wollt Ihr nicht eintreten und uns wissen lassen, womit Longner Euch dienen kann?«
    »Ihr könnt Euch nicht vorstellen«, begann Herluin, auf einen möglichen Kampf gefaßt, »in welchem Zustand uns das Kloster zurückgegeben wurde. Ein Jahr lang diente es als Stützpunkt eines verbrecherischen Heeres, wurde geplündert und ausgeraubt, das Mauerwerk geschändet, wenn nicht sogar vor dem Abzug gänzlich zerstört. Wir brauchen jeden Sohn des Hauses und jeden Freund des Ordens, um vor Gott wieder aufzurichten, was entheiligt worden ist. Ich bin zu Euch gekommen, um mit Euch zu reden.«
    »Ein Freund des Ordens«, entgegnete Sulien, »wünsche ich zu sein. Ein Sohn von Ramsey und ein Bruder seiner Brüder bin ich nicht mehr. Abt Walter hat mich gerechterweise hierher zurückgeschickt, um meine Berufung zu überdenken, die er selbst als zweifelhaft erkannte. Er hat mein Noviziat Abt Radulfus überlassen, und der hat mich von meiner Pflicht entbunden. Aber tretet ein, damit wir uns als Freunde unterhalten können. Ich werde Euch ehrfürchtig lauschen, Vater, und respektieren, was Ihr zu sagen habt.«
    Und das tat er dann auch, war er doch ein junger Mann, dazu erzogen, alle Pflichten des Jüngeren gegen die Älteren zu erfüllen; und das um so mehr als jüngerer Sohn ohne Erbe, der seinen eigenen Weg würde gehen müssen und der es deshalb um so nötiger hatte, denen zu gefallen, die Macht und Ansehen besaßen und ihm auf seinem Weg behilflich sein konnten. Er würde zuhören, doch er würde sich nicht umstimmen lassen.
    Und er brauchte auch keine geneigten Fürsprecher, um seine Ansichten über die Angelegenheit zu unterstützen. Warum sollten Herluins Ansichten darüber von einem ergebenen und stillen jungen Gefolgsmann unterstützt werden, der einem ehemaligen Bruder durch seine bloße Gegenwart eine Pflicht aufzwingen wollte, die nicht länger die seine war und die er nur irrtümlicherweise und aus den falschen Gründen auf sich genommen hatte?
    »Ihr wünscht gewiß, unter vier Augen zu beratschlagen«, sagte Cadfael
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