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Der Fromme Dieb

Der Fromme Dieb

Titel: Der Fromme Dieb
Autoren: Ellis Peters
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und folgte dem Subprior die Steintreppe hinauf zur Eingangstür. »Mit deiner Erlaubnis, Sulien, werden dieser junge Bruder und ich bei deiner Mutter vorbeischauen. Natürlich nur, wenn sie sich wohl fühlt und gewillt ist, Besuch zu empfangen.«
    »Den Euren immer!« erwiderte Sulien mit einem aufblitzenden Lächeln über seine Schulter hinweg. »Und ein neues Gesicht wird ihr Freude machen. Ihr wißt, wie sie das Leben und die Welt jetzt betrachtet – sehr friedfertig!«
    Das war nicht immer so gewesen. Donata Blount litt seit Jahren an einer unheilbaren Krankheit, die ihre Kräfte langsam, verbunden mit starken Schmerzen, verzehrte. Erst im letzten Stadium ihrer Körperschwäche hatte sie den Schmerz selbst fast überwunden und sich mit der Welt, die sie verlassen würde, ausgesöhnt, je näher sie dem Tor kam, das sich in eine andere Welt öffnete.
    »Es wird bald soweit sein«, sagte Sulien schlicht. Im hohen, dämmrigen Eingang blieb er stehen. »Ich bitte Euch, Vater Herluin, mit mir in die Stube zu treten. Ich werde Euch eine Erfrischung bringen lassen. Mein Bruder ist auf den Feldern. Ich bedauere, daß er Euch nicht begrüßen kann, aber wir wurden über Euer Kommen nicht benachrichtigt. Ihr werdet ihn entschuldigen. Aber da Euer Anliegen mir gilt, ist es vielleicht besser so.« Und zu Cadfael gewandt: »Geht ins Zimmer meiner Mutter. Ich weiß, daß sie wach ist, und seid gewiß, daß Ihr ihr stets willkommen seid.«
    Lady Donata, nunmehr ans Bett gefesselt, lag, von Kissen gestützt, in ihrer kleinen Schlafkammer. Die Fensterläden waren geöffnet, und in einer Zimmerecke brannte auf dem nackten Steinfußboden ein Kohlenbecken. Sie war nur noch Haut und Knochen, ihre mageren Hände ruhten auf der Decke wie herabgefallene Lilienblätter, so zart und durchscheinend waren sie. Ihr Gesicht war zu einer zerbrechlichen Maske aus silbrigen Knochen gemeißelt, und in ihren tiefen Augenhöhlen lagen eisblaue Schatten rund um die verblüffende, unvergängliche Schönheit der Augen selbst, die noch immer klar und intelligent und in dem denkbar tiefsten und leuchtendsten Blau erstrahlten. Der Geist in dieser fragilen Hülle war noch lebendig, unbezähmbar und höchst teilnehmend an der Welt ringsum, ohne jede Furcht, sie verlassen zu müssen, und ohne jede Abneigung, zu gehen.
    Sie schaute zu ihren Besuchern auf und begrüßte Cadfael mit leiser Stimme, die freilich nichts von ihrer Festigkeit eingebüßt hatte. »Bruder Cadfael, welche Freude, ich habe Euch in diesem Winter kaum gesehen. Ich wäre nicht gern gegangen ohne Eure Abschiedsworte.«
    »Ihr hättet mich rufen lassen können«, sagte er und rückte einen Stuhl neben ihr Bett. »Ich bin stets abkömmlich, und Bruder Radulfus würde Eure Bitte nicht abschlagen.«
    »Er ist bereits selbst zu mir gekommen«, sagte Donata, »um an Weihnachten meine Beichte abzunehmen. Ich bin ein Schaf seiner Herde. Er vergißt mich nicht.«
    »Wie steht’s um Euch?« fragte er, ihr gelassenes Gesicht betrachtend. Bei Donata bedurfte es keiner Umschweife; sie zog den direkten Weg vor.
    »Was die Frage von Leben und Tod anbetrifft«, sagte sie, »ausgezeichnet. Und die Schmerzen… Ich habe sie überwunden, es ist nicht mehr viel da, um sie zu fühlen oder sie zu beachten, wenn sie sich bemerkbar machen sollten. Ich betrachte das als das Zeichen, auf das ich gewartet habe.« Sie sprach ohne Furcht oder Bedauern, auch ohne Ungeduld, als wäre sie völlig einverstanden damit, die kurze Frist noch abzuwarten. Und sie hob ihre tiefblauen Augen zu dem abseits stehenden jungen Mann.
    »Und wen habt Ihr mir da mitgebracht? Ein neuer Gehilfe in Eurem Kräutergarten?«
    Tutilo, der dies zu Recht als eine Aufforderung betrachtete, trat näher. Seine großen, runden Augen nahmen ihren Zustand wahr – Jugend und überquellendes Leben, konfrontiert mit dem Tod. Und doch schien er weder bestürzt noch mitleidsvoll.
    Donata ermutigte nicht zu Mitleid. Der Junge besaß viel Feingefühl und eine rasche Auffassungsgabe.
    »Nicht meiner«, erwiderte Cadfael und betrachtete den schlanken jungen Mann, ein aufgeweckter Schüler, wie er zugeben mußte, den er gewiß nicht abgelehnt hätte. »Nein, dieser junge Bruder ist mit seinem Subprior aus der Abtei von Ramsey gekommen. Abt Walter ist wieder in seinem Kloster und fordert alle Brüder auf, beim Wiederaufbau der Abtei zu helfen, denn Geoffrey de Mandeville und seine Banditen haben nichts als eine leere Hülle zurückgelassen. Und um Euch alles
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