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Der Fromme Dieb

Der Fromme Dieb

Titel: Der Fromme Dieb
Autoren: Ellis Peters
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fesselte. Man brachte ihn bis nach Mildenhall in Suffolk und kam dort zu der Erkenntnis, daß sein Ende gekommen sei. Was die Heere König Stephens nicht erreicht hatten, das hatte die Sonne fertiggebracht.
    Daß er in Frieden stürbe, war schlechterdings nicht möglich, hatte man ihn doch exkommuniziert. Nicht einmal ein Priester konnte ihm helfen, denn auf dem Konzilium um die Mitte der Fastenzeit, das im Jahr zuvor von Henry von Blois, dem Bischof von Winchester, Bruder des Königs und damals päpstlicher Legat, einberufen worden war, hatte man beschlossen, daß keinem Mann, der einem Geistlichen Gewalt angetan habe, die Absolution erteilt werden könne, es sei denn durch den Papst höchstselbst und dann auch nicht durch ein Dekret aus der Ferne, sondern ausschließlich in Gegenwart des Heiligen Vaters. Von Mildenhall nach Rom, das war ein langer Weg für einen Sterbenden, der das Höllenfeuer zu fürchten hatte. Der Kirchenbann über Geoffrey war die Strafe für seine gewaltsame Einnahme der Abtei von Ramsey, für die Vertreibung des Abtes und der Mönche, für die Umwandlung des Klosters in die Hauptstadt seines Königreichs von Dieben, Plünderern und Mördern. Für ihn gab es keine Aussicht auf Absolution, keine Hoffnung auf eine Bestattung. Die Erde wollte ihn nicht aufnehmen.
    Einige seiner Mannen taten ungestüm ihr Bestes, um seine Seele zu verteidigen, wo sie seinem Leib schon nicht helfen konnten. Als er so schwach wurde, daß er zu toben aufhörte und in Apathie versank, begannen seine Rechtsberater und Dienstleute fieberhaft, öffentliche Briefe in seinem Namen zu verfassen und der Kirche verschiedene Besitztümer, die er ihr entrissen hatte, zurückzugeben, darunter die Abtei von Ramsey. Ob das mit seinem Einverständnis geschah, fragte niemand und sollte auch niemand erfahren. Die Anordnungen wurden ausgeführt und befolgt, aber sie nützten Geoffrey nicht.
    Seinem Leib wurde ein christliches Begräbnis verwehrt, seine Grafenwürde wurde ihm entzogen, seine Besitzungen und Ämter blieben verwirkt, und seine Familie wurde enterbt. Sein ältester Sohn war zusammen mit ihm exkommuniziert worden, weil jener an dessen Rebellion teilgenommen hatte. Ein jüngerer Sohn, sein Namensvetter, befand sich bereits am Hofe der Kaiserin Maud und war von ihr als Graf von Essex anerkannt worden. Aber was nützte das schon ohne Land?
    Am sechzehnten Tage des Monats September starb Geoffrey, noch immer unter Kirchenbann, noch immer ohne Absolution. Ein Rest von Barmherzigkeit wurde ihm nur durch gewisse Tempelritter zuteil, die gerade in Mildenhall weilten und den Sarg mit seiner sterblichen Hülle nach London mitnahmen, wo sie ihn gezwungenermaßen in einer Grube außerhalb des Friedhofs der Templer, in ungeweihte Erde, verscharrten.
    Selbst das überschritt die Gesetze des kanonischen Rechts, denn nach den Buchstaben dieses Gesetzes hätte er überhaupt nicht beerdigt werden dürfen.
    In seinem bunt zusammengewürfelten Heer gab es niemanden, der stark genug war, ihn zu ersetzen. Alles, was es zusammengehalten hatte, waren Selbstsucht und Habgier, und ohne Geoffrey zerfiel die fragwürdige Gemeinschaft, nachdem die königlichen Truppen mit erneuter Entschlossenheit angerückt waren. Die Gesetzlosen zerstreuten sich in kleinen Gruppen in alle Richtungen, um nach weniger bevölkerten Breiten und einsameren Gefilden zu suchen, wo sie hofften, ihr Leben als Beutejäger fortsetzen zu können. Die Achtbaren unter ihnen oder die von höherer Geburt zogen umher und versuchten, mit sich ins reine zu kommen und sich sichereren Bündnissen anzuschließen.
    Allen anderen bereitete die Nachricht vom Tode Geoffreys große Befriedigung. Schnell erreichte sie den König; der Tod befreite ihn von seinem gefährlichsten und erbittertsten Feind und enthob ihn der Notwendigkeit, den Großteil seines Heeres in einer bestimmten Region zu binden. Die frohe Botschaft vom Rückzug der marodierenden Horden verbreitete sich wie ein Lauffeuer in den Fens, und die Menschen, die in Angst und Schrecken gelebt hatten, tauchten vorsichtig aus ihren Verstecken auf, um die Reste der geplünderten Feldfrüchte zu bergen, ihre niedergebrannten Häuser wieder aufzubauen, ihre Familienangehörigen erneut um sich zu scharen und ihre Toten angemessen zu bestatten, nach dem der Sensenmann in ihren Breiten so reiche Ernte eingebracht hatte. Bis ein halbwegs gewöhnlicher Alltag wieder einkehrte, würde mehr als ein Jahr ins Land gehen müssen, aber wenigstens
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