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Der Fromme Dieb

Der Fromme Dieb

Titel: Der Fromme Dieb
Autoren: Ellis Peters
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wissen zu lassen: Subprior Herluin ist augenblicklich in der Stube und gibt sich alle erdenkliche Mühe mit Sulien.«
    »Den wird er niemals zurückgewinnen«, sagte Donata fest und überzeugt. »Es hat mich damals sehr bekümmert, daß er dazu verleitet wurde, sich selbst so zu verkennen. Und wenn Geoffrey de Mandeville sonst nichts Gutes getan hat, so hat sein Überfall doch wenigstens bewirkt, daß Sulien zu seinem wahren Selbst zurückgefunden hat. Mein jüngster Sohn«, fuhr sie fort und begegnete Tutilos großen goldenen Augen mit einem nachdenklichen und anerkennenden Lächeln, »war nie für ein Leben als Mönch geschaffen.«
    »Das sagte ein Kaiser, wenn ich recht liege«, sagte Cadfael, der sich erinnerte, was Anselm über den Heiligen von Sankt Gallen gesagt hatte, »auch von dem ersten Tutilo, nach dem dieser junge Bruder benannt ist. Denn dies ist Bruder Tutilo, ein Novize aus Ramsey und, wie ich von seinem Subprior erfuhr, kurz vor dem Ende seines Noviziats. Und wenn er seinem Namensgeber nachschlägt, müßte er Maler, Bildhauer, Sänger und Musiker sein. Bedauerlich, sagte König Karl – Karl der Dicke genannt – , wenn ein solches Genie zum Mönch gemacht würde. Er verfluchte den Mann, der das tat. So hat es Anselm jedenfalls erzählt.«
    »Und eines Tages«, sagte Donata, wobei sie diesen wohlgestalteten und anmutigen jungen Mann von Kopf bis Fuß betrachtete und mit unverhohlener Bewunderung in sich aufnahm, was sie erblickte, »wird vielleicht irgendein König das gleiche von diesem hier sagen. Oder irgendeine Frau, natürlich!
    Seid Ihr ein Vorbild an Tugend, Tutilo?«
    »Aus diesem Grund hat man mir diesen Namen gegeben«, sagte der Junge mit ehrlicher Offenheit, und eine leichte Röte stieg von seinem kräftigen Hals bis in seine glatten Wangen, was ihm jedoch nicht das geringste Unbehagen bereitete. Seine Augen, die fasziniert auf Donatas Gesicht ruhten, senkten sich nicht. In die Gelassenheit dieses Antlitzes war etwas von der lange verblichenen Schönheit zurückgekehrt, die Donata noch beeindruckender und bewundernswerter machte. »Ich besitze einige Fertigkeiten in der Musik«, sagte er mit der Gewißheit einer Person, die eines unvoreingenommenen Urteils fähig war, ohne Prahlerei und ohne die eigenen Fähigkeiten herabzusetzen. Kleine Flammen von Neugier und Zuneigung flackerten in Donatas Augen.
    »Hervorragend! Dann sollt Ihr zeigen, was Ihr so gut zu meistern wißt«, sagte sie anerkennend. »Die Musik ist für mich der leichteste Weg, den Schlaf zu finden. Mein Trost auch, wenn die Teufel zu lebendig waren. Jetzt schlafen sie, und ich liege wach.« Sie bewegte eine schwache Hand und wies auf eine Truhe, die in einer Ecke des Raumes stand. »Darin findet Ihr ein Psalterium, das schon lange nicht mehr angerührt wurde. Wollt Ihr es ausprobieren? Sicher wäre es dankbar, wenn man es wieder erklingen ließe. In der Diele steht auch eine Harfe, aber niemand kann auf ihr spielen.«
    Tutilo trat auf die Truhe zu, um den schweren Deckel zu heben und auf den kostbaren Inhalt darin zu schauen. Er hob das Instrument heraus, kein sehr großes, eines, das man auf den Knien spielen mußte, und das die Form einer breiten Schweinsschnauze besaß. Die Art, wie er damit umging, war ein Beweis für Interesse und Liebe zur Musik, und wenn er die Stirn runzelte, dann nur, weil ein Saitenchor gerissen war. Er beugte sich tiefer über die Truhe auf der Suche nach einem Plektron, doch er fand keines und runzelte erneut die Stirn.
    »Es gab Zeiten«, sagte Donata, »da schnitzte ich etwa jede Woche aus Federkielen ein neues Plektron. Es tut mir leid, daß wir unsre Pflicht vernachlässigt haben.«
    Er antwortete mit einem kurzen, gedankenverlorenen Lächeln, doch seine Aufmerksamkeit galt erneut dem Psalterium. »Ich kann mit den Fingernägeln spielen«, sagte er, trug das Instrument zu ihrem Krankenlager und setzte sich ohne Umstände oder Zögern auf die Bettkante, legte das Psalterium auf seine Knie und ließ die Finger über die Saiten gleiten, die ein sanftes, zitterndes Murmeln von sich gaben.
    »Eure Nägel sind zu kurz«, sagte Donata. »Ihr werdet Euch die Fingerkuppen verletzen.«
    Immer noch konnte ihre Stimme Farben und Töne heraufbeschwören, die selbst die simpelste Äußerung vielsagend machten. Für Cadfael klang es so, als warnte eine Mutter halb nachsichtig, halb ungeduldig einen Jüngling vor einem vielleicht schmerzhaften Unterfangen. Doch nein, vielleicht weniger eine Mutter, auch
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