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Der Friseur und die Kanzlerin

Der Friseur und die Kanzlerin

Titel: Der Friseur und die Kanzlerin
Autoren: Eduardo Mendoza
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zusammenfassen. Aber wenn du Zeit, Lust oder die Güte hast, sie dir anzuhören, und dich von mir zu einem Imbiss einladen lässt, werde ich sie dir ausführlich erzählen.»
    Erfreut willigte ich in den Vorschlag ein, denn nichts bereitete mir eine größere Freude, als unsere alte Freundschaft wiederaufzunehmen. Unbemerkt verließen wir das gelehrte Haus und gingen in eine nahe Speisewirtschaft. Romulus bestellte eine Portion Sardellen, für sich ein Glas Weißwein und für mich eine Pepsi. Es rührte mich, dass er sich noch an mein Lieblingsgetränk erinnerte. Nachdem wir bedient worden waren, setzte er zur Schilderung des letzten Teils seiner bewegten Biographie an.

2
WAS ROMULUS DER SCHÖNE ERZÄHLTE
    Die Schließung der Anstalt hatte Romulus den Schönen in eine so missliche Lage versetzt wie die anderen Insassen auch, eingeschlossen den Protokollanten dieser ursprünglich mündlichen Erzählung. Dank seinen Geistesgaben, dem Zufall und der Fürsorge anderer fand er trotz seiner Vorstrafen bald eine nicht nur ehrliche, sondern auch ehrenwerte Arbeit als Pförtner eines herrschaftlichen Hauses im nicht weniger herrschaftlichen Bonanova-Viertel. Dort veredelte der tägliche Umgang mit wohlerzogenen Menschen seine Manieren; gelegentliche Geschenke besserten seinen Hausrat auf. Nach drei Jahren wurde er von der Eigentümergemeinschaft entlassen, da man die Ausgaben reduzieren wollte. Mittellos und ohne die Möglichkeit, zu welchen zu kommen, jedoch nicht entmutigt, beschloss er, einen Bankkredit zu beantragen, um damit ein Geschäft aufzuziehen. Ein schöner Anzug und ein gutes Benehmen öffnen die wichtigen Türen, heißt es – sogleich wurde er herzlich von Dr. Villegas empfangen, dem Leiter der von ihm ausgewählten Bankfiliale. Bei den in der Pförtnerloge geleisteten Diensten hatte er die Unterschriften der Magnaten in seinem Haus kennengelernt. Er legte Bürgschaften mit den gefälschten Unterschriften der reichsten von ihnen vor und suchte um einen Kredit nach, dessen Ausarbeitung mehrmaliges Erscheinen in der Filiale erforderte. Als er ihm schließlich gewährt wurde, kannte Romulus der Schöne die Raumaufteilung und das Wesen und Verhalten des Personals bis ins kleinste Detail. Mit dem Kredit besorgte er sich zwei Pistolen, zwei riesige Aktentaschen und zwei Sturmhauben. Er kaufte alles doppelt, da er für seine Operation einen Gehilfen benötigte. Bei der Wahl beging er einen Fehler.
    Der Erwählte hieß oder nannte sich Johnny Pox, stammte aus dem Ausland, war neu in der Stadt und unbescholten, ernsthaft, methodisch und guter Dinge. Er machte Bodybuilding, trank und rauchte nicht und konsumierte keine Drogen. Widerspruchslos stimmte er dem Vorschlag, dem vorgesehenen Ablauf und dem ihm bei der Verteilung der Beute zufallenden Anteil zu. Am Vorabend entwendeten sie ein 125er-Motorrad und parkten es vor dem Eingang der Bankfiliale, um nach getanem Überfall damit das Weite zu suchen. Romulus der Schöne hatte keinen Führerschein, schon gar nicht für Zweiräder, aber sein Komplize war ein versierter Motorradfahrer.
    An diesem Punkt der Erzählung unterbrach ich ihn, um meiner Verwunderung Ausdruck zu geben: Es wollte mir selbst angesichts so widriger Umstände nicht in den Kopf, dass sich Romulus zu einer Missetat dieses Kalibers verstiegen hatte.
    «Pah», sagte er, «heutzutage ist Bankraub ein Kinderspiel.» Und amüsiert über meine erstaunt-hingerissene Miene, fügte er hinzu: «In der modernen Welt ist klingende Münze eine Reliquie. Sämtliche Transaktionen, ob gewichtig oder unbedeutend, werden mit der Kreditkarte oder online getätigt. Natürlich mit Ausnahme schwarzer Operationen, aber die laufen nicht über die Bank oder zumindest nicht über die Stadtteilfilialen. Jedenfalls haben die Banken in ihren Geldschränken nur eine geringe Menge in bar, und folglich lohnt sich Bankraub nicht mehr. Diebe nehmen lieber Juwelierläden oder Privatwohnungen aus. Die Banken wiederum haben in ihrer Wachsamkeit nachgelassen – es zahlt sich für sie nicht mehr aus, bewaffnete Wachleute einzustellen. Der Geldschrank steht immer offen, und der Alarm ist ausgeschaltet. Die Videokameras sind zur Decke gerichtet und die Angestellten davon überzeugt, dass sie im Zuge des Personalabbaus von einem Tag auf den anderen auf der Straße stehen können, und so kommt es ihnen gar nicht erst in den Sinn, ihr Leben zu riskieren, indem sie Widerstand leisten.»
    Wieder unterbrach ich ihn und fragte, welchen Sinn es denn
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