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Der Friseur und die Kanzlerin

Der Friseur und die Kanzlerin

Titel: Der Friseur und die Kanzlerin
Autoren: Eduardo Mendoza
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habe, für eine so magere Beute eine Bank auszurauben.
    «Alles ist relativ», meinte er. «An einem guten Tag kann man mit wenig Anstrengung und ohne jedes Risiko gut und gern zweitausend Euro rausholen. Mit zwei Überfällen pro Monat kommt man gradeso durch.»
    Alles war so verlaufen, wie Romulus der Schöne es geplant hatte, doch im letzten Augenblick scheiterte der Überfall an etwas Unvorhergesehenem, ebenso Nichtigem wie Alltäglichem: am Faktor Mensch.
    Das Gesicht in den Sturmmasken verborgen, das Motorrad vor der Bankfiliale in Stellung, in der einen Hand eine Plastiktüte, in der anderen die Pistole – so betraten Romulus der Schöne und Johnny Pox das Lokal, als gerade kein Kunde darin war. Wortlos füllten die Angestellten die Tüten mit Scheinen und Münzen, während der Filialleiter (Señor Villegas) seine Untergebenen zur Kooperation anhielt, um ein Blutbad zu verhindern. In weniger als einer Minute war der Überfall vollzogen. Beim Hinausgehen blieb Johnny Pox vor der Auslage eines sechsteiligen Porzellanservices stehen und fragte, ob sie das nicht auch mitnehmen sollten.
    «Nein», sagte Romulus, «der Plan sieht vor, dass wir uns unverzüglich aus dem Staub machen.»
    «Aber, Menschenskind, hast du gesehen, was für ein Geschirr, Romulus? Göttlich, göttlich!»
    «Das ist nicht der Moment, sich zu outen, Johnny.»
    Hier mischte sich Señor Villegas ein und erklärte, das Geschirr sei ein Geschenk für die, die eine Sechs-Monate-Einlage von über zweitausend Euro leisteten.
    «Ach», seufzte Johnny, «und woher soll ich so viel Geld nehmen?»
    «Wenn Sie mir den Vorschlag gestatten, Señor Pox», sagte Señor Villegas, «so können Sie es aus der Plastiktüte nehmen. Und denken Sie daran, dass Sie das Geld mitsamt dem Zins in sechs Monaten wieder abheben können. Das einzige Problem besteht darin, dass das Geschäft einiger Formalitäten bedarf. Hier arbeiten wir nicht einfach drauflos. Hier pflegen wir einen persönlichen Umgang mit den Kunden. Fragen Sie nur Don Romulus, dem wir kürzlich ein Darlehen gewährt haben, oder fragen Sie die Leute, die sich in diesem Moment vor dem Eingang drängen, um dem Überfall beizuwohnen.»
    Eine Stunde später standen Romulus der Schöne und Johnny Pox vor dem Richter. Johnny wurde wegen Zugehörigkeit zu einer bewaffneten Bande verurteilt, doch weil er nichts Böses getan hatte, wurden ihm mildernde Umstände zugebilligt, und er stand gleich wieder auf der Straße. Romulus wurde zu einer Haftstrafe von zwanzig Jahren verknurrt. Angesichts dessen, dass er schon vorher in einer Irrenanstalt eingesessen hatte, verfügte das Gericht seine Einweisung in eine Institution gleicher Natur. Da diese Institutionen der Sozialversicherung angehörten, wartete er nun schon mehrere Monate auf einen freien Platz.
    «Die können jeden Moment anrufen», sagte er abschließend, «und das geht mir, ehrlich gesagt, sehr gegen den Strich. Ich bin an die Freiheit gewöhnt, du verstehst schon. Wenn ich bloß ein bisschen Geld hätte, würde ich irgendwohin verduften. Aber ich bin vollkommen blank.» Er seufzte, schwieg einen Augenblick und sagte dann in verändertem Ton: «Nun, ich will dich nicht mit meinem Kummer belasten. Erzähl von dir. Wie geht’s dir denn so?»
    «Sehr gut», antwortete ich.
    Die Wirklichkeit sah freilich ganz anders aus, aber die Geschichte meines armen Freundes hatte mich traurig gestimmt, und ich mochte seinen Kummer nicht noch vergrößern mit der Schilderung meiner eigenen Nöte. Nach einigen abenteuerlichen Gehversuchen, die ich seinerzeit schriftlich festgehalten habe, führte ich seit ein paar Jahren einen Damensalon, den in letzter Zeit mit bewunderungswürdiger Regelmäßigkeit nur ein Caixa-Angestellter aufsuchte, um die Rückstände bei der Abzahlung meiner Kredite einzufordern. Die Krise hatte in der tüchtigen sozialen Schicht gewütet, auf die mein Geschäft ausgerichtet war, nämlich die der armen Teufel, und zum Gipfel allen Unglücks gaben die wenigen Frauen, die noch nicht kahl waren und über Geld verfügten, dieses in einem vor kurzem gegenüber dem Salon eröffneten chinesischen Warenhaus aus, wo Glasperlen, Trödel und anderer Firlefanz zu Schleuderpreisen verkauft wurden. Da dieses Warenhaus überdies der beste Kunde der Caixa war, hatte es keinen Sinn, ihm die Schuld in die Schuhe zu schieben, um Aufschub bei der Abzahlung von Krediten zu erbitten, die es mir nur mit Mühe und Not erlaubten, den Laden offenzuhalten und alle
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