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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
Autoren: Charlotte Link
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völlig verstört gewesen. Am Ende hätte sie dies sogar befähigt, sich im Zusammenhang mit Kronborgs Bitte Wochen später zu erinnern. Denn es war merkwürdig, dass ein Mann zu so früher Stunde in einem geparkten Auto saß, während die ganze Stadt noch schlief. Merkwürdig zumindest, wenn einige Straßen weiter ein so ungeheuerliches Verbrechen stattfand.
    Egal. So oder so, sie hatten den Kerl. Sie würde Kronborg trotzdem noch anrufen und ihm von ihrer Beobachtung erzählen. Aber erst später. Zuvor musste sie noch ein anderes Gespräch führen.
    Sie ging ins Wohnzimmer zum Telefon, nahm den Hörer ab und wählte die Nummer der Anwaltskanzlei, die sie sich vor zwei Tagen schon aus dem Telefonbuch gesucht hatte. Es war fast Mittag, trotzdem hatte sie Glück: Am anderen Ende meldete sich jemand. Eine Sekretärin.
    Sie bat um einen Termin in der nächsten Woche.
    »Worum geht es denn?«, fragte die Sekretärin.
    Karen antwortete feierlich: »Ich möchte die Scheidung von meinem Mann einreichen.«
    Ihr war ein bisschen schwindlig bei diesen Worten.
    Aber es waren die richtigen Worte. Daran hatte sie nicht den mindesten Zweifel.

BRIEF VON SABRINA BALDINI AN CLARA WEYLER
    München, im September
     
    »Liebe Clara,
    nur ein kurzer Brief, damit Sie wissen, wie es mir weiter ergangen ist. Ich hoffe, Sie sind wohlauf und haben all die schrecklichen Ereignisse einigermaßen verarbeitet.
    Mir geht es recht gut, jedenfalls komme ich langsam wieder ein bisschen zur Ruhe. Ich finde es sehr angenehm zu wissen, dass nun keine Drohbriefe mehr eintreffen werden und dass dort draußen niemand herumläuft, der mir nach dem Leben trachtet. Vor allem bin ich froh zu wissen, dass Marius das abscheuliche Verbrechen an seinen Pflegeeltern nicht begangen hat. Er hat wohl einiges getan, was nicht in Ordnung war, aber er hat niemanden umgebracht, und er hatte nie vor, es zu tun. Es mindert nicht unsere Schuld, was die Versäumnisse ihm gegenüber angeht, aber es erleichtert mich zu wissen, dass wir mit unserer Ignoranz, unserer Bequemlichkeit wenigstens keinen Verbrecher auf die Welt losgelassen haben. Diese Kette an Schrecken geht nicht komplett auf unser Konto, und darüber bin ich, trotz allem, froh.
    Ich schaue wieder nach vorn, und ich hoffe, das tun Sie auch, Clara. In meinem Leben hat sich eine überraschende Wende ergeben. Raten Sie, wer mich angerufen hat: Rebecca Brandt. Sie verlässt Südfrankreich und kehrt nach
Deutschland zurück. Sie will Kinderruf wieder aufleben lassen, und sie hat mich gefragt, ob ich mitmachen möchte. Ich konnte es gar nicht fassen, denn sie hätte jeden Grund, für immer böse mit mir zu sein. Stattdessen hat sie Verständnis für alles und meint, die beste Art, unsere Fehler wieder gutzumachen sei die, uns verstärkt um Kinder und ihren Schutz zu kümmern. Natürlich habe ich ihr Angebot voller Freude angenommen. Endlich wieder eine Aufgabe, noch dazu eine, die sinnvoll ist und mich wirklich befriedigt. Nichts ist schlimmer, als den ganzen Tag über allein in einer leeren, stillen Wohnung zu sitzen und über die Fehler nachzugrübeln, die man begangen hat. Nächste Woche ist übrigens mein Scheidungstermin. Da wir beide die Scheidung unbedingt wollen, haben wir angegeben, bereits seit einem Jahr getrennt zu leben – was in gewisser Weise ja auch stimmt. Dadurch geht es nun so schnell. Ich habe Angst vor diesem Tag, aber ich denke auch, ich werde erleichtert sein danach. Es ist dann endlich vorbei. Manchmal kann man erst nach einem ganz dicken Schlussstrich den Neuanfang in Angriff nehmen.
    Rebecca erzählte übrigens, dass Marius in eine Therapie-Einrichtung gehen wird, und dass er hofft, seine Probleme dort aufzuarbeiten und besser damit leben zu können. Seine Frau wird nicht bei ihm bleiben, aber das war nach allem, was geschehen ist, wohl auch nicht zu erwarten. Es muss viel Unschönes zwischen den beiden vorgefallen sein, das Vertrauen ist natürlich vollkommen beschädigt, und die Ehe war wohl auch vorher nicht mehr – oder noch nie – wirklich in Ordnung. Marius hatte seiner Frau absolut nichts über seine Jugend erzählt. Entsprechend hilflos stand sie wahrscheinlich oft vor seinen neurotischen Verhaltensweisen. Inga – so heißt sie – will die Zelte hier in München abbrechen. Sie geht nach Hamburg, bringt dort ihr Studium zu
Ende. Sie stammt aus dem Norden. Sie will dort versuchen, ein neues Leben zu beginnen.
    Ich bete darum, dass die Trennung Marius nun nicht völlig aus den Gleisen
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