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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
Autoren: Charlotte Link
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Wahrscheinlich wenigstens fünf Straßen weiter und jedes Mal an einer anderen Stelle. Wer so etwas tut, der ist raffiniert. Der macht keine Fehler.«
    »Offensichtlich doch«, sagte Karen, »denn sonst wüsste die Polizei jetzt ja nicht, dass er es war.«
    »Kommt eben immer alles irgendwann ans Tageslicht«, meinte die Alte vage und fragte dann übergangslos: »Wollten Sie nicht heute in Urlaub fahren? Hatten wir nicht mal irgendwann wegen Ihrer Blumen und der Post miteinander geredet? «
    »Das hat sich erledigt«, sagte Karen. »Trotzdem – es war ein nettes Angebot von Ihnen.« Sie wandte sich zum Gehen. Sie hatte wenig Lust, weitere Fragen zu diesem Thema zu beantworten.

    »Ich habe noch ein wichtiges Telefongespräch zu führen«, sagte sie. »Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen.« Sie wandte sich ab und machte sich mit raschen Schritten auf den Rückweg zum Haus. Wieder blickte sie dabei unwillkürlich zum Nachbarhaus. Die Polizei hatte alle Rollläden geschlossen, auch den vor dem Fenster, durch das sie und Pit eingestiegen waren. Sie stellte sich die Dunkelheit vor, die in allen Räumen herrschte, den muffigen Geruch. Sofort richteten sich wieder die Härchen an ihren Armen auf, und sie musste tief durchatmen. Sie beobachtete Kenzo, der friedlich an den Blumen schnupperte, die dicht am Zaun wuchsen. Er war völlig ruhig. Keine Gefahr mehr.
    Dennoch, so schrecklich die Ereignisse waren, die hinter ihr lagen: Mit dem Haus hatte alles angefangen. Der Umstand, dass sie die Lenowskys nicht ansprechen konnte, hatte die schon lange schwelende Krise zwischen ihr und Wolf eskalieren lassen. Ihren Instinkt, der ihr mit jedem Tag eindringlicher zugerufen hatte, dass etwas nicht stimmte, hatte er als Hysterie abgetan. Und doch hatte sie Recht gehabt, hatte erkannt, dass sie sich auf ihre Gefühle verlassen konnte. Sie hatte sich, zum ersten Mal in all den Jahren ihrer Ehe, über Wolf hinweggesetzt und war eigenmächtig vorgegangen. Es hatte ihrem Selbstbewusstsein gut getan. Zugleich hatte die Verächtlichkeit, mit der er sie behandelte, den Höhepunkt ihrer Leidensfähigkeit überschritten. Zusammen mit einem zaghaft erwachenden Glauben an sich selbst würde sie die Kraft finden, die Schritte zu tun, von denen ihr klar war, dass sie sie tun musste.
    Kenzo hob sein Bein an einem saphirblauen Rittersporn, den er in der letzten Zeit öfter zu diesem Zweck benutzte und der schon etwas jämmerlich aussah, und plötzlich fiel Karen etwas ein. Es war ein Bild, das sich ihr jäh ins Gedächtnis schob, die Erinnerung an einen frühen Morgen, der
bald drei Wochen zurück lag. Die Straßen der Siedlung im ersten Tageslicht, sie und Kenzo unterwegs, der Boxer frohen Mutes, sie, Karen, hingegen mal wieder auf der Flucht vor Schlaflosigkeit und Depressionen.
    Mindestens fünf Straßen weiter, hatte die Nachbarin gerade gesagt. Wie viele auch immer, es war ein ganzes Stück weit entfernt von ihrer Straße gewesen, als Kenzo sein Bein an dem Hinterreifen des parkenden Autos gehoben hatte. Ein dunkelblauer BMW. Sie erinnerte sich, wie erschrocken sie gewesen war, als plötzlich die Fahrertür aufging, weil sie morgens um fünf Uhr nicht erwartet hatte, dass jemand in dem Auto saß. Der große, gut aussehende Mann, der so schrecklich wütend wurde, der sie beschimpfte, so dass sie schließlich in Tränen ausbrach, sich noch elender und gedemütigter fühlte.
    War er es gewesen? Hatte sie dem Mörder der Lenowskys gegenübergestanden? War er der furchtbare Gast gewesen, den das alte Ehepaar unfreiwillig hatte beherbergen müssen?
    Manches sprach dafür. Sie solle versuchen, sich an jedes noch so unbedeutend erscheinende Vorkommnis zu erinnern, hatte Kommissar Kronborg sie gebeten. Diese Episode war ihr nicht eingefallen. Sie hatte sie nicht im Mindesten in einen Zusammenhang mit dem Verbrechen im Nachbarhaus gebracht. Das Ereignis hatte in ihre ganz persönliche, private Sammlung von Niederlagen und Erniedrigungen gehört. Mit mir macht man so etwas. Ich werde angebrüllt und kann nicht einmal etwas erwidern. Ich heule los wie ein Schulmädchen. Ich bin unfähig, mich zu wehren. Ich fordere die Menschen heraus, mich zu quälen.
    Wie gefangen war sie gewesen in ihrer persönlichen Problematik. Jede andere Frau wäre genauso angeschrien worden, wenn ihr Hund gegen ein fremdes Auto gepinkelt hätte. Sie hätte irgendetwas erwidert, sich vielleicht entschuldigt,
aber sie hätte nicht geweint und wäre nicht für den Rest des Tages
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