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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
Autoren: Charlotte Link
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Zauber in sich. Das Gefühl würde sich irgendwann verlieren, aber für den Moment war nichts mehr selbstverständlich. Das ganze Leben nicht.
    »Was wird mit Marius geschehen?«, fragte sie.
    Inga zögerte. »Das hängt wohl auch ein Stück weit von uns ab. Ob wir Strafantrag stellen. Er ist in dein Haus eingebrochen, er hat uns gegen unseren Willen festgehalten, er wollte dich verschleppen … es kommt einiges zusammen.«
    Wie wenig mich das beschäftigt, dachte Rebecca, kein Hass, keine Wut, gar nichts. Eigentlich nur Mitleid mit einem Menschen, der sehr viel mitgemacht hat, und dessen Hilfeschreie nie gehört wurden.
    »Was mich betrifft«, sagte sie, »bin ich an einer Strafverfolgung überhaupt nicht interessiert. Marius braucht Hilfe. Nicht eine Verurteilung durch die Justiz. Er ist kein Verbrecher. «
    Inga sah sie von der Seite an. »Danke«, sagte sie.
    »Es ist genau das, was ich empfinde«, meinte Rebecca.
    Beide schwiegen sie eine Weile. Der rote Streifen am Himmel wurde schmaler, bald würde er ganz verlöschen, und es würde Nacht sein. Hinter ihnen, am anderen Ende des Gartens, leuchteten warm die Lichter aus dem Haus. Das Haus, von dem Rebecca nicht wusste, ob sie es je wieder als einen Ort der Geborgenheit und Sicherheit empfinden konnte. Nie würde sie das Bild vergessen, das sich ihr bot, als Maximilian seine Waffe hob, den Lauf in seinen Mund nahm und den
Schuss auslöste. Sein Gesicht zerbarst, er fiel mit einem schweren Laut zu Boden und blieb in einer verdrehten, verkrampften Haltung auf dem Teppich liegen.
    Rebecca hatte geschrien, einen langen, entsetzten, qualvollen Schrei, zumindest hatte sie das geglaubt. Aber Inga hatte ihr später gesagt, es sei nur der Schuss zu hören gewesen und danach lautlose Stille, und so konnte der Schrei nur in ihrem Kopf gewesen sein, und er war nicht über ihre Lippen gedrungen. Nach all den endlosen Reden und Hasstiraden musste Maximilian in einem Moment der Klarheit seine völlig verfahrene Situation, die Ausweglosigkeit seiner Lage, das Ausmaß der Fehler und Irrtümer seines Lebens erkannt haben. Er hatte nur noch eine Möglichkeit gesehen, sich zu befreien: Er hatte sich in einer letzten dramatischen Geste vor den Augen der Frau, die er fanatisch geliebt und gehasst hatte, selbst gerichtet.
    Nicht viel später war die Polizei erschienen, von der Rebecca dann erfuhr, dass es Inga gewesen war, die um Hilfe telefoniert hatte. Lauter fremde Menschen waren im Haus herumgelaufen, ein Krankenwagen hatte Marius abtransportiert, ein Arzt hatte sich um Inga und Rebecca gekümmert, Maximilians Leiche wurde fortgebracht. Die beiden Frauen waren von verschiedenen Männern immer wieder zum Hergang der Geschichte befragt worden, und Inga hatte auf praktisch jede Frage immer nur eine einzige Antwort gegeben: dass Marius nichts getan hatte. Dass Marius unschuldig war. Dass alles ganz anders war, als es den Anschein hatte.
    »Seltsam«, sagte Rebecca nun, »ich hatte nie ein wirklich gutes Gefühl, was Maximilian anging. Er war Felix’ bester Freund, und deswegen habe ich mir nie eingestehen wollen, dass ich mich unwohl fühlte in seiner Gegenwart. Felix und ich haben einmal darüber gesprochen, dass er ein wenig verliebt
sei in mich, aber Felix nahm das nicht tragisch, und ich wäre mir irgendwie albern vorgekommen, nun meinerseits ein großes Theater darum zu machen. Aber ich spürte , dass da etwas war, das über ein wenig Verliebtheit hinausging. Ich konnte es nicht benennen und war oft nicht sicher, ob ich mir das alles nicht nur einbildete, aber nun weiß ich, dass ich Recht hatte mit meinem Instinkt. Meine Warnleuchten brannten, und ich hätte sie unbedingt ernst nehmen sollen. Ich hatte es mit einem geistesgestörten Gewaltverbrecher zu tun und schwebte in immer größerer Gefahr.«
    »Marius sagt, Maximilian habe ihn eines Tages aufgesucht und ihm erklärt, er habe von einer ehemaligen Mitarbeiterin von Kinderruf erfahren, was damals geschehen war. Als man den Hilferuf des kleinen Jungen ignorierte. Natürlich stellte er es so dar, als seist du die Hauptschuldige, als habest du mit ganzem Einsatz auf Seiten derer agiert, die alles daransetzten, den möglichen Skandal zu vertuschen. Dann meinte er, er könnte euch zusammenbringen. Es sei wichtig, dass Marius über alles rede, sich seiner Vergangenheit stelle, die Schuldigen mit ihren Taten konfrontiere … und so weiter. Marius, der ja tatsächlich noch immer unendlich unter seiner Vergangenheit litt, willigte
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