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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
Autoren: Charlotte Link
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so, als sei sie mindestens ein Jahr lang fort gewesen.
    Warum können Männer nicht so sein, dachte sie, während sie ihn streichelte, oder können sie so sein, und ich habe nur das falsche Exemplar erwischt?
    Sie öffnete die Gartentür, um Kenzo hinauszulassen. Sie versuchte, den Anblick des leer stehenden Nachbarhauses zu ignorieren, aber natürlich gelang es ihr nicht. Wie magisch angezogen glitten ihre Blicke zu dem Balkon, und sie sah sich und Pit wieder dort die Leiter hinaufsteigen, und sie erinnerte sich, wie sie den kommenden Schrecken vorausgefühlt hatte, wie sie gespürt hatte, dass etwas Furchtbares auf sie wartete. Jetzt lagen keine Toten mehr in dem Haus, aber es schien Düsternis und Schrecken zu verströmen. Ob sich wohl je wieder Menschen fanden, die dort leben mochten?
    Sie wollte sich rasch wieder abwenden und im Haus verschwinden, als sie hörte, wie ihr Name gerufen wurde. Es war die alte Nachbarin auf der anderen Seite. Sie stand am Zaun und winkte herüber.
    »Neuigkeiten«, sagte sie, als Karen etwas widerwillig näher trat, »die Polizei war bei mir.«
    Karen, die von all dem genug hatte, dachte erleichtert, wie gut es sich gefügt hatte, dass sie ihre Familie zum Flughafen gebracht hatte und deshalb nicht zu Hause gewesen war. Sonst hätte sie womöglich auch ein langes Gespräch über sich ergehen lassen müssen.
    »So?«, sagte sie.
    Die Alte neigte sich vor und senkte die Stimme. »Es scheint, dass der Täter doch nicht der Pflegesohn gewesen ist!«
    »Nein?«
    »Nein! Der Beamte hat mir ein Foto von einem Mann gezeigt und wollte wissen, ob ich den irgendwann in den letzten
Wochen hier gesehen hätte. Hatte ich aber nicht. Schien mir zu alt, um der Pflegesohn von den Lenowskys gewesen zu sein, und das sagte ich auch. Da meinte dann der Beamte, der Pflegesohn sei außer Verdacht. Na, das hat mich dann aber schon gewundert. Nach allem, was in der Zeitung stand … das schlechte Verhältnis und so … und es war ja auch komisch, dass die Lenowskys den Pflegesohn nie erwähnten. Kein Mensch hier hatte eine Ahnung, dass es ihn gab. Ich meine, da ziehen zwei Menschen ein Kind groß, und nachher tun sie so, als gebe es dieses Kind gar nicht. Da läuten doch alle Alarmglocken! Da wird doch jedem klar, dass in dem Verhältnis etwas nicht stimmt!«
    Sie holte Luft. Karen nutzte die Gelegenheit, um auch etwas zu sagen. »Aber offenbar bedeutet das immer noch nicht, dass aus dem einstigen Pflegekind ein Krimineller wird.«
    Die Alte sah sie missgelaunt an. Aus irgendeinem Grund hatte ihr die Pflegekind-Version besser gefallen. »Tja, die Welt ist so oder so schlecht«, meinte sie. Ein Allgemeinplatz war ihrer Ansicht nach wohl nie verkehrt.
    »Ja«, sagte Karen.
    »Komisch, dass niemand den Kerl hier hat herumlungern sehen«, fuhr ihr Gegenüber fort. »Er hatte die Lenowskys nämlich wohl in der Nacht von Sonntag auf Montag überfallen. Hing dann bei ihnen im Haus herum und verwüstete es gründlich. Ließ die beiden alten Leute gefesselt zurück und ging – man stelle sich das einmal vor! – am Montag ganz normal in das Krankenhaus, in dem er arbeitete! Als wäre nichts geschehen! Er ist nämlich Arzt! Arzt! So einer operiert andere Menschen!«
    Karen verzichtete auf eine Antwort. Wie sie die Alte kannte, wollte die auch gar keine hören.
    »Am Dienstag ist er dann noch mal zu ihnen ins Haus gekommen! Da hat er sich sogar eine Pizza bestellt. Beim Pizzaservice.
Er wollte, dass man denkt, der Pflegesohn sei der Täter, und na ja … oft bestellen sich die jungen Leute Pizza, nicht? Dann hat er die arme Frau Lenowsky mit Messerstichen verletzt. So platziert, dass sie ganz schön lange daran gestorben ist. Als Arzt wusste er natürlich, wie’s geht. Ganz schön kaltblütig, oder? Die hätte ja auch noch Hilfe holen können. Er ist dann nämlich abgehauen nach Südfrankreich. Keine Ahnung, warum!«
    Wie furchtbar, dachte Karen. Die armen Menschen. Über Stunden allein, in der Hoffnung, sich vielleicht noch irgendwie befreien zu können. Aber dann kommt er wieder. Hat sich natürlich einen Schlüssel mitgenommen und längst die Alarmanlage ausgeschaltet. Geht aus dem Haus und kommt wieder ins Haus wie ein Gast. Nur dass sie ihn nie eingeladen hatten. Diesen fremden Gast, der sich einnistete und sie tötete.
    »Dunkelblauer BMW. Den hat er gefahren. Habe ich aber auch nirgends hier in der Straße gesehen. Na ja, so blöd wird er nicht gewesen sein, vor dem Haus der Lenowskys zu parken.
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