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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf
Autoren: John Katzenbach
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tief Luft.
    »Ich weiß nicht, wie ich es euch schonend erklären kann, also sag ich es geradeheraus. Susan ist tot. Sie wurde letzte Nacht getötet. Ermordet. Es tut mir leid.«
    Detective Barren sah ihre Schwester vor Augen, wie sie sich vor etwa achtzehn Jahren, eine Woche vor der Niederkunft, mit einem riesigen Bauch durch die Julihitze quälte, die unerbittlich über dem trockenen Delaware Valley hing. Detective Barren hatte sich neben ihr an der Flagge festgehalten, die ihr der Captain der Ehrengarde gegeben hatte, während in ihrem Kopf ein großes schwarzes Loch gähnte, in dem die Worte des Geistlichen hohl widerhallten und sich mit dem kurzen Salut über dem Grab vermengten. Sie hatte keine Antwortenfür die Angehörigen und Freunde, die verlegen herangeschlichen kamen und keine Worte fanden für das Sterben eines so jungen, vitalen Mannes wie John Barren, und sei es auch im Krieg.
    Annie hatte sich neben Detective Barren auf dem Sofa niedergelassen; als sie sich unbeobachtet fühlte, hatte sie die Hand ihrer Schwester genommen und auf ihren gewölbten Bauch gelegt, während sie mit entwaffnender Schlichtheit sagte: »Es ist nicht fair, dass Gott ihn dir genommen hat, aber hier ist ein neues Leben, und deine Liebe sollte nicht mit ihm begraben werden – schenke sie stattdessen diesem Kind.«
    Das Kind war Susan.
    Für einen Moment musste Detective Barren bei der Erinnerung lächeln: Das Baby hat mir das Leben gerettet.
    Dann riss sie das erste qualvolle Schluchzen einer gebrochenen Mutter in die Realität zurück.
     
    Ben hatte den nächsten Flieger nach Miami nehmen wollen, doch das hatte sie ihm ausreden können. Es wäre einfacher, erklärte Merce, wenn sie die Überführung des Leichnams mit einem Bestattungsunternehmen regelte, sobald der Gerichtsmediziner mit der Autopsie fertig war. Sie selbst würde den Sarg begleiten. Ben hatte gesagt, er werde das Weitere mit einem lokalen Beerdigungsinstitut abstimmen. Detective Barren bereitete die Eltern darauf vor, dass sich wahrscheinlich Zeitungen, vielleicht sogar das Fernsehen bei ihnen melden würden. Sie empfahl ihnen, zu kooperieren; die Reporter würden sich erkenntlich zeigen und weniger lästig fallen. Sie erklärte, dass Susan nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand das Opfer eines Serienkillers war, der im vergangenen Jahr an einigen Colleges von Miami sein Unwesen getrieben hatte, und dass die Polizei zur Klärung dieser Fälle eine Sonderkommissioneingerichtet hatte. Diese Kollegen, sagte sie, würden sich mit ihnen in Verbindung setzen. Ben hatte gefragt, ob sie sicher sei, dass es sich um denselben Mörder handele, und sie hatte zu erklären versucht, dass nichts sicher sei, jedoch einiges für die These spreche. Ben hatte einen Moment lang seinem Zorn freien Lauf gelassen, war jedoch nach ein paar wütenden Bemerkungen fassungslos verstummt. Annie sagte nichts. Detective Barren vermutete, dass sie sich in einem anderen Zimmer aufhielt und dass die Verzweiflung sie mit ganzer Wucht treffen würde, sobald sie sich in die Augen sähen.
    »Im Moment ist das alles, was ich euch sagen kann«, schloss Detective Barren. »Ich ruf wieder an, sobald ich mehr weiß.«
    »Merce?« Es war ihre Schwester.
    »Ja, Annie.«
    »Bist du sicher?«
    »Ach, Annie …«
    »Ich meine, du hast es nachgeprüft, ja? Du bist dir ganz sicher?«
    »Annie. Ich habe sie mit eigenen Augen gesehen. Es ist Susan.«
    »Danke. Ich musste es nur absolut sicher wissen.«
    »Es tut mir so leid.«
    »Ja, natürlich. Du meldest dich.«
    »Ben?«
    »Ja, Merce. Ich bin noch dran. Wir hören von dir.«
    »Ja.«
    »O mein Gott, Merce …«
    »Annie?«
    »Gott!«
    »Annie, du musst stark sein. Du musst!«
    »Merce, steh mir bei. Ich hab das Gefühl, wenn ich jetzt auflege,bringe ich sie dadurch um. O mein Gott. Was ist nur passiert? Ich versteh das alles nicht.«
    »Ich versteh es auch nicht, Annie.«
    »Merce, Merce, Merce …«
    Detective Barren hörte, wie ihr Name verhallte. Sie wusste, dass ihre Schwester den Hörer auf das Bett hatte fallen lassen. Schluchzen drang durch die Leitung, und es war, als könne Detective Barren ein Herz brechen hören. Sie erinnerte sich, wie sie an der Highschool von der Seitenlinie aus einem Football-Training zugesehen hatte, als einer der Spieler unglücklich getroffen wurde. Das knackende Geräusch eines splitternden Knochens war lauter gewesen als der Zusammenprall der Körper. Sie hatte gesehen, wie sich einer der anderen Spieler übergeben
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