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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf
Autoren: John Katzenbach
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beharrte Detective Barren.
    »Vielleicht hatte sie keine Chance. Sie hat am Hinterkopf ein schweres Trauma. Von einem stumpfen Gegenstand. Wahrscheinlich war sie schon bewusstlos, als er das hier gemacht hat.« Der Doktor wies auf die Strumpfhose, die um Susans Kehle zugezogen war. Für Sekunden starrte Detective Barren auf die bläuliche Verfärbung der Haut.
    »Überprüfen Sie den Knoten«, sagte sie.
    »Hab ich schon«, entgegnete der Arzt. »Ganz normaler Knoten. Seite eins in der Pfadfinderfibel.«
    Detective Barren betrachtete wie gebannt die Strumpfhose. Sie hätte alles dafür gegeben, sie lockern zu dürfen, damit ihre Nichte Luft bekam, als könne sie so den Tod in Schlaf verwandeln. Merce erinnerte sich an ein Erlebnis aus ihrer Kindheit. Sie war noch sehr klein gewesen, vielleicht fünf, sechs Jahre alt, als der Hund der Familie von einem Auto überfahren wurde und starb. »Wieso ist Lady tot?«, hatte sie ihren Vater gefragt. »Weil ihre Knochen gebrochen waren«, hatte er geantwortet. »Aber als ich mir das Handgelenk gebrochen habe, hat der Arzt mir einen Gips drumgemacht, und jetzt ist es schon besser«, hatte sie erwidert. »Legen wir Lady einen Gips an.« – »Aber sie hat auch ihr ganzes Blut verloren«, hatte ihr Vater entgegnet. »Dann müssen wir eben das Blut wieder in sie reinbekommen«, hatte sie in wachsender Verzweiflungbeharrt. »Ach, mein Kleines, wenn das doch nur ginge.« Und ihr Vater hatte seine Arme um sie gelegt, als sie eine der längsten Nächte ihrer Kindheit durchschluchzte.
    Als sie jetzt Susans Leichnam anstarrte, sehnte sie sich nach diesen starken Armen.
    »Was ist mit den Handgelenken?«, fragte sie. »Irgendwelche Zeichen von Gewaltanwendung?«
    »Nein«, erklärte der Arzt, »und das ist aufschlussreich.«
    »Allerdings«, meldete sich eine Stimme von der Seite. Detective Barren drehte sich nicht zu dem Sprecher um. »Das heißt, der Mistkerl hat ihr erst eins übergezogen und dann seinen Spaß mit ihr gehabt. Wahrscheinlich hat sie nicht einmal mitbekommen, was sie traf.«
    Detective Barren ließ den Blick den Hals des Opfers hinunterwandern.
    »Ist das da an der Schulter eine Bisswunde?«
    »Sieht so aus«, bestätigte der Gerichtsmediziner. »Müssen wir mikroskopisch untersuchen.«
    Einen Moment betrachtete sie die zerrissene Bluse ihrer Nichte. Susans Brüste waren entblößt, und sie hätte sie am liebsten zugedeckt. »Machen Sie Abstriche am Hals nach Speichelspuren«, bat sie.
    »Schon erledigt«, erwiderte der Arzt. »Auch an den Genitalien. Im Leichenschauhaus nehme ich noch einmal welche.«
    Detective Barren ließ den Blick weiter Zentimeter für Zentimeter den Körper hinunterwandern. Ein Bein war keusch über das andere geschlagen, als zeigte Susan selbst im Tod noch ihr zurückhaltendes Wesen.
    »Gibt es irgendwelche Verletzungen im Genitalbereich?«
    »Nichts, was wir hier draußen erkennen könnten.«
    Detective Barren schwieg, während sie die gewonnenen Erkenntnisse auf sich wirken ließ.
    »Merce«, sagte der Doktor freundlich, »das sieht den anderen vier verdammt ähnlich. Todesart. Körperstellung der Leiche. Fundort.«
    Detective Barren sah ruckartig auf.
    »Anderen? Anderen vier?«
    »Hat Lieutenant Burns Ihnen das nicht erzählt? Sie glauben, es ist der Kerl, den sie in der Zeitung den Campus-Killer nennen. Ich dachte, das hätten sie Ihnen gesagt …«
    »Nein …«, erwiderte sie. »Das hat mir keiner gesagt.«
    Sie holte tief Luft.
    »Aber das passt perfekt ins Bild. Es passt …« Sie stockte mitten im Satz.
    Der Lieutenant meldete sich zu Wort. »Wahrscheinlich sein erster dieses Semester. Ich meine, mit Sicherheit lässt sich das nicht sagen, aber das Grundmuster stimmt. Wir werden den Mord ihm zuschreiben, damit das Sonderdezernat übernehmen kann – ich denke, das wird das Beste sein, oder, Merce?«
    »Ja.«
    »Genug gesehen? Kommen Sie mit dort hinüber, damit ich Ihnen sagen kann, was wir haben und was nicht?«
    Sie nickte. Sie machte die Augen zu und wandte sich von dem Leichnam ab. Sie hoffte, dass man Susan bald wegbringen würde, als könnte es ihr ein bisschen menschliche Würde wiedergeben und die Schändung, das Unwiderrufliche ihres Todes mildern, wenn man sie aus dem Dreck und dem Unterholz holte.
     
    Sie wartete geduldig bei den Autos der Spurensicherung und der Kriminaltechnik. Sie gehörten zur Nachtschicht ihrer eigenen Dienststelle, und sie kannte alle Kollegen gut. Jeder von ihnen unterbrach seine Arbeit und kroch
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