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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf
Autoren: John Katzenbach
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eine Erinnerung, sind Sie deshalb noch wach? Möchten Sie vielleicht darüber reden?«
    Sie bog in die Old Cutler Road ein und wusste, dass der Eingang zum Park nach wenigen hundert Metern kommen musste. Das Dunkel schien im Laub zu nisten; große Teebäume und Weiden versteckten zwischen ihren Blättern und Zweigen etwas von der Nacht. Wie Arme streckten sie ihre Äste über die Straße. Detective Barren hatte plötzlich das unheimliche Gefühl, vollkommen allein auf der Welt zu sein – die einzige Überlebende, die ziellos durch die Finsternis irrte. Die verblassten Buchstaben auf dem kleinen Eingangsschild waren kaum zu erkennen. Als ein Opossum vor die Räder ihres Wagens lief, schrak sie zusammen, trat heftig auf dieBremse und atmete erleichtert aus, als sie merkte, dass die Kreatur noch einmal davongekommen war. Sie kurbelte die Scheibe herunter und roch Salz in der Luft. Die Bäume in ihrer Umgebung waren geschrumpft: Die riesigen Palmen, welche die Autobahn gesäumt hatten, waren dem knorrigen, verknäulten Geäst der Mangroven gewichen. Die Straße beschrieb eine scharfe Kurve, und Merce wusste, dass dahinter die weitläufige Biscayne Bay auftauchen würde.
    Zuerst dachte sie, das Wasser in der Bucht glitzere unter dem Mond.
    Doch sie irrte sich.
    Sie hielt abrupt an und starrte hinüber. Zuerst drang das Dröhnen mächtiger Generatoren in ihr Bewusstsein. Deren rhythmisches Stampfen speiste drei Reihen Scheinwerferlampen. Das grelle Flutlicht schnitt aus der Dunkelheit am Parkplatzrand eine Bühne, auf der sich Dutzende uniformierte Polizisten und Kripobeamte vorsichtig bewegten. Außerhalb des Lichtkegels waren einige Streifen-, ein Krankenwagen und die weißgrünen Fahrzeuge der Spurensuche abgestellt, deren blaurote Lichtblitze die arbeitenden Gestalten für Sekundenbruchteile bannten.
    Detective Barren holte tief Luft und fuhr zu dem erleuchteten Abschnitt der Bucht hinunter.
    Sie parkte am Rande des Geschehens und machte sich zu Fuß auf den Weg zur Mitte der Bühne, wo eine Gruppe Männer zusammenstand und etwas betrachtete, auf das ihr die Sicht versperrt war. Sie wusste, worum es sich handelte, doch das war eine sachliche Feststellung, ein Erfahrungswert ohne emotionale Anteile. Die Stelle war weitläufig mit gelbem Flatterband abgesperrt. Alle drei, vier Meter hing ein Schild daran: POLIZEILICHE ABSPERRUNG – ZUTRITT VERBOTEN. Sie hob das Band hoch und schlüpfte darunter hindurch.Die Bewegung zog die Aufmerksamkeit eines Beamten in Uniform auf sich, der rasch auf sie zukam und sie mit ausgestreckten Händen aufzuhalten versuchte.
    »Hören Sie«, sagte er. »Sie können da nicht rein.«
    Sie starrte ihn an und blieb stehen.
    Er ließ die Hände sinken.
    Betont langsam öffnete sie ihre Handtasche und zog ihre Polizeimarke heraus.
    Er warf einen kurzen Blick darauf und murmelte eine Entschuldigung. Inzwischen hatten auch die Männer in der Mitte des abgesperrten Bereichs ihre Ankunft bemerkt. Einer von ihnen löste sich aus der Gruppe und kam auf sie zu.
    »Merce, um Gottes willen. Hat Wills Ihnen nicht gesagt, dass Sie nicht herkommen sollen?«
    »Doch«, erwiderte sie.
    »Hier gibt es nichts für Sie zu tun.«
    »Woher zum Teufel wollen Sie das wissen?«
    »Merce, tut mir leid. Das muss …«
    Wütend fiel sie ihm ins Wort.
    »Muss was sein? Schwer? Traurig? Schwierig? Tragisch? Was glauben Sie?«
    »Beruhigen Sie sich erst mal. Hören Sie, Sie wissen, was wir jetzt tun. Können Sie einfach ein paar Minuten warten? Ich hole Ihnen eine Tasse Kaffe.« Er versuchte, sie am Ellbogen zu fassen und wegzuführen, doch sie schüttelte seinen Griff ab.
    »Versuchen Sie nicht, mich aus dem Verkehr zu ziehen, verflucht noch mal!«
    »Nur ein paar Minuten, dann erhalten Sie von mir einen umfassenden Bericht …«
    »Ich will keinen Bericht, ich will sie selbst sehen.«
    »Merce …« Der Detective breitete die Arme aus und versuchteimmer noch, ihr den Blick zu verstellen. »Lassen Sie es sein.«
    Sie holte tief Luft und schloss die Augen. Dann sagte sie, indem sie jedes Wort einzeln betonte: »Peter. Lieutenant Burns. Zwei Dinge. Punkt eins, das da drüben ist meine Nichte. Punkt zwei, ich bin Polizistin von Beruf. Ich will es selbst sehen, mit eigenen Augen!«
    Der Lieutenant hielt inne. Er blickte sie an.
    »Na schön. In ein paar Minuten ist der Gerichtsmediziner mit seiner vorläufigen Untersuchung fertig. Wenn sie Ihre Nichte auf eine Trage legen, können Sie rüberkommen. Wenn Sie wollen, können Sie
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