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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf
Autoren: John Katzenbach
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sie dann auch offiziell identifizieren.«
    »Nicht erst in ein paar Minuten und nicht auf einer Trage. Ich will sehen, was mit ihr passiert ist.«
    »Merce, verdammt …«
    »Ich will es sehen.«
    »Wozu? Das macht es nur schwerer für Sie.«
    »Woher zum Teufel wollen Sie das wissen? Wie sollte das irgendetwas schwerer machen?«
    Hinter dem Lieutenant blitzte ein Licht auf. Er drehte sich um, und Detective Barren sah, wie ein Polizeifotograf aus unterschiedlichen Positionen Aufnahmen machte. »Jetzt«, erklärte sie. »Ich will sie jetzt sehen.«
    »Okay«, gab der Lieutenant nach und trat beiseite. »Es ist Ihr Alptraum.«
    Sie marschierte energisch an ihm vorbei.
    Dann blieb sie stehen.
    Sie holte tief Luft.
    Sie schloss die Augen und stellte sich das Lächeln ihrer Nichte vor.
    Noch einmal atmete sie tief durch, dann trat sie zum Leichnam. Präg dir alles ein, befahl sie sich. Brenn es dir ins Gedächtnisein! Sie zwang sich, rund um die Gestalt, die sie immer noch nicht in den Blick zu nehmen wagte, den Boden abzusuchen. Sandboden und Blätter. Nichts, was einen klaren Schuhabdruck hergab. Mit geübtem Blick schätzte sie die Entfernung zwischen dem Parkplatz und der Gestalt ab – das Wort Leiche konnte sie nicht einmal denken. Zwanzig Meter. Eine gute Stelle, um eine Tote loszuwerden. Sie versuchte, analytisch vorzugehen: Es gab ein Problem. Es war für die Ermittler immer leichter, wenn – wieder stolperte sie über den Begriff – das Opfer an der Stelle gefunden wurde, an der es getötet worden war. Unweigerlich würde man Indizien finden.
    Während sie weiter den Boden absuchte, hörte sie hinter sich die Stimme des Lieutenant: »Merce, wir haben alles genau abgesucht, Sie brauchen wirklich nicht …« Doch sie ignorierte ihn, kniete sich hin und spürte die feste Konsistenz des Bodens. Falls etwas davon an den Schuhen haften blieb, dachte sie, konnten sie einen Abgleich machen. Ohne sich umzudrehen und zu vergewissern, ob Lieutenant Burns noch da war, sagte sie laut: »Nehmt von der ganzen Umgebung Bodenproben.« Nach kurzem Schweigen hörte sie ein zustimmendes Murmeln. Sie machte weiter und beschwor sich stark zu sein, bis sie die Gestalt mit den Augen erreichte. Also gut, sagte sie sich. Jetzt sieh dir Susan an. Präge dir ein, was ihr heute Nacht zugestoßen ist. Sieh sie dir an. Von oben bis unten. Dir darf nichts entgehen.
    Und sie hob den Blick.
    »Susan«, sagte sie, wenn auch leise.
    Nur ganz vage war sie sich der Gegenwart der anderen Polizisten bewusst. Sie hatten Gesichter, es waren Menschen, die sie kannte, Kollegen, Freunde, das war ihr bewusst, wenn auch allenfalls unterschwellig. Später sollte sie versuchen, sichins Gedächtnis zu rufen, wer alles am Leichenfundort gewesen war, doch vergeblich.
    »Susan«, flüsterte sie erneut.
    »Ist das Ihre Nichte, Susan Lewis?« Es war die Stimme des Lieutenant.
    »Ja.«
    Sie zögerte.
    »Das war Susan.«
    Plötzlich durchflutete sie eine sengende Hitze, als ob sich einer der Scheinwerfer mit seinem gleißenden Lichtstrahl gezielt auf sie richtete. Sie schnappte nach Luft, dann noch einmal. Sie kämpfte gegen das Schwindelgefühl an. Sie musste an den Moment vor Jahren denken, als sie gemerkt hatte, dass sie von einem Schuss getroffen worden war und dass das Warme, das sie fühlte, ihr eigenes Blut war, das aus ihrem Körper sickerte. Genauso wie damals musste sie jetzt ihre ganze Kraft aufbieten, damit sich nicht ihre Augen verdrehten – als ob es heute genauso tödlich wäre, dem schwarzen Nichts der Ohnmacht nachzugeben wie vor Jahren.
    »Merce?«
    Sie hörte eine Stimme.
    »Geht’s?«
    Sie rührte sich nicht.
    »Holt den Rettungsdienst!«
    In diesem Moment schaffte sie es, den Kopf zu schütteln.
    »Nein«, sagte sie. »Geht schon wieder.«
    Was Dümmeres hätte sie nicht sagen können, dachte sie.
    »Bestimmt? Wollen Sie sich setzen?«
    Sie wusste nicht, mit wem sie sprach, als sie noch einmal den Kopf schüttelte und erklärte: »Mir fehlt nichts.«
    Jemand hielt sie am Arm. Sie riss sich los.
    »Überprüft ihre Fingernägel«, ordnete sie an. »Sie muss sichheftig gewehrt haben. Vielleicht müssen wir nach einem Verdächtigen mit Kratzspuren suchen.«
    Sie sah, wie sich der Gerichtsmediziner über die Leiche beugte, behutsam jede Hand hochhob, um mit einem kleinen Skalpell ihre Fingernägel auszuschaben und die Partikel in Beweismitteltütchen zu füllen. »Nicht gerade üppig«, meinte er.
    »Sie muss sich wie ein Tiger gewehrt haben«,
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