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Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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geschworen«, unterbrach mich Böhm, »keinen Fuß mehr nach Afrika zu setzen. Außerdem bin ich jetzt siebenundfünfzig Jahre alt und habe ein sehr schwaches Herz. Zur Feldforschung tauge ich nicht mehr.«
    »Haben Sie nicht einen Assistenten, einen jungen Ornithologen, den Sie mit den Nachforschungen beauftragen könnten?«
    »Ich halte nichts von Spezialisten. Ich will einen unparteiischen Mann, der keine Vorkenntnisse und damit auch keine Vorurteile hat, der offen ist und dem Rätsel auf die Spur kommt. Sind Sie einverstanden oder nicht?«
    »Ich bin einverstanden«, antwortete ich, ohne zu zögern. »Wann soll ich aufbrechen?«
    »Zusammen mit den Störchen, Ende August. Die Reise dauert ungefähr zwei Monate. Im Oktober sind die Störche im Sudan. Sollte tatsächlich auf ihrer Route irgend etwas vorfallen, so wird das, denke ich, vor diesem Zeitpunkt der Fall sein. Ansonsten kommen Sie zurück, und das Rätsel bleibt ungelöst. Ihr Gehalt beträgt fünfzehntausend Francs im Monat zuzüglich Spesen. Dieses Honorar zahlt Ihnen die APCE, unser Verband zum Schutz der europäischen Störche. Wir sind nicht gerade mit Reichtum gesegnet, aber ich habe dafür gesorgt, daß Sie unter den bestmöglichen Bedingungen reisen: Erster-Klasse-Flüge, Mietwagen, komfortable Hotels. Mitte August erhalten Sie eine erste Vorauszahlung, zusammen mit Ihren Flugtickets und den Hotelreservierungen. Erscheint Ihnen mein Vorschlag vernünftig?«
    »Ich bin Ihr Mann. Aber sagen Sie mir zunächst eins: Woher kennen Sie die Braeslers?«
    »Ich habe sie 1987 bei einem Ornithologenkongreß in Metz kennengelernt. Die Festrede hatte >Die Gefährdung der Störche in Osteuropa< zum Thema. Georges hielt ebenfalls einen hochinteressanten Vortrag über Graukraniche.«
    Später fuhr Max Böhm mit mir quer durch die Schweiz und zeigte mir einige der Freigelände, auf denen er heimische Störche aufzog, deren Junge ich auf ihrer Wanderschaft begleiten sollte. Unterwegs erklärte mir der Ornithologe die wichtigsten Prinzipien, die ich für meine Rundreise brauchte. Erstens: man kennt die Flugroute der Störche halbwegs genau. Zweitens: die Störche legen nur etwa hundert Kilometer am Tag zurück. Und drittens wandte Böhm ein zuverlässiges Mittel an, um die europäischen Störche aufzuspüren: die Beringung. Jedes Frühjahr befestigte er am Bein jedes Storchs einen Ring mit dem Geburtsdatum und einer speziellen Identifikationsnummer. Mit Hilfe eines Fernglases konnte man also jeden Abend >seine< Vögel ausmachen. Zu allen diesen Argumenten kam der Vorteil, daß Böhm in jedem Land mit Ornithologen in Verbindung stand, die mir helfen und meine Fragen beantworten würden. Unter diesen Umständen, sagte Böhm, zweifle er nicht, daß ich herausfinden würde, was sich im letzten Frühjahr auf der Vogelroute ereignet hatte.
    Exakt drei Monate später, am 17. August 1991, rief Max Böhm mich an, außer sich vor Aufregung: Er komme soeben aus Deutschland zurück, wo er festgestellt habe, daß der Abflug der Störche unmittelbar bevorstehe. Er habe mir eine Anzahlung in Höhe von fünfzigtausend Francs auf mein Bankkonto überwiesen - zwei Monatsgehälter sowie eine Summe zur Deckung der ersten Spesen - und werde mir per Eilkurierdienst die Flugtickets, Vouchers für Leihwagen sowie eine Liste der Hotels zuschicken, in denen ein Zimmer für mich reserviert sei, außerdem ein Flugticket Paris-Lausanne, denn er wünsche mich noch einmal zu sehen, damit wir sämtliche Daten des Projekts gemeinsam durchgehen könnten.
    So machte ich mich am 19. August um sieben Uhr morgens auf den Weg, ausgestattet mit Reiseführern, Visa und Medikamenten. Mein Gepäck beschränkte ich auf das Allernötigste: meine Sachen, Computer eingeschlossen, paßten in eine Reisetasche mittlerer Größe, zu der noch ein kleiner Rucksack kam. Nach außen hin war alles geregelt. In meinem Inneren hingegen herrschte ein unsägliches Chaos: Hoffnung, Aufregung und verworrene Ängste vermischten sich zu einem quälenden Aufruhr der Gefühle.

 
3
     
    Jetzt aber war bereits alles zu Ende, bevor es überhaupt begonnen hatte. Max Böhm würde nie erfahren, weshalb seine Störche verschwunden waren. Ich übrigens auch nicht. Denn mit seinem Tod hatten sich meine Nachforschungen erübrigt, ich würde dem Verband das Geld zurückzahlen und zu meinen Büchern zurückkehren. Meine Karriere als Reisender war in der Tat überwältigend gewesen! Dieser vorzeitige Abbruch wunderte mich allerdings kaum.
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