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Der Fluch der Schriftrollen

Der Fluch der Schriftrollen

Titel: Der Fluch der Schriftrollen
Autoren: Barbara Wood
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Juden
nur noch mehr in ihre Ideale. Während es unter uns solche gab, die eine
friedliche Knechtschaft vorgezogen hätten, gingen die Zeloten lieber in den
Tod, als diese Schande zu ertragen.
    So bildete Jerusalem auch
weiterhin keine geschlossene Front gegen den Feind. Und ob dies nun geholfen
hätte oder nicht, vermag ich nicht zu sagen, denn das Ganze entwickelte sich
schnell zu einem Alptraum von erschreckendem Ausmaß. Niemand von uns hätte die
Katastrophe, die schon bald über uns hereinbrechen sollte, voraussehen können.
Und als wir uns des Ernstes unserer Lage richtig bewußt wurden, war es schon zu
spät. Ich betete mit meinen Brüdern von den Armen, bis ich Schwielen an die
Knie bekam. Titus und seine Männer erhöhten ihre Rampe bis hinauf zur
Antonia-Festung. Zerstrittene Splittergruppen von Juden kämpften untereinander
innerhalb der Stadt. Und ein noch schlimmerer Feind – weitaus schlimmer, als
ich oder meine Brüder oder Titus oder die Zeloten es je hätten vorausahnen
können – begann sich heimtückisch in die Stadt einzuschleichen. Und dieser
Feind – nicht die rivalisierenden Juden und auch nicht die Römer im Tal des Kidron,
sondern allein dieser letzte Feind, der seinen eigenen Krieg gegen uns zu
führen begann – war schuld daran, daß die Tage von Jerusalem gezählt waren.
Denn kein Mensch kann den Vormarsch des Hungers aufhalten. Kämpfe waren nun an
der Tagesordnung, obgleich sie auf den Bereich der Stadtmauern beschränkt
waren.
    Wieder versuchte Saul, mich
dazu zu bewegen, eine Waffe zu tragen, doch ich lehnte ab, denn ich glaubte,
Gott werde uns retten, bevor die Römer die Stadtmauern durchbrachen, und ich
konnte den göttlichen Ratschluß nicht durch derlei Tun in Zweifel ziehen.
    Saul entgegnete: »Während du
auf den Knien liegst und dafür betest, daß dein Messias kommen möge, verlieren
beherzte Juden ihr Leben durch römische Speere. Hast du nicht gesehen? Hast du
nicht gehört? Jüdisches Blut klebt an den Stadtmauern, und die Schreie der
Sterbenden dringen bis zu den entferntesten Hügeln vor. Wo ist nun dein
Messias?«
    Und ich erwiderte: »Gott
allein wird die Stunde bestimmen.« Es waren dies die letzten Worte, die wir
miteinander sprachen, und sie bereiteten mir großen Schmerz. Saul war ein guter
Rabbi und der beste Jude; aber wo war seih Vertrauen auf Gott? Als Titus’ Rampe
von Tag zu Tag höher wurde und Jerusalem den ersten nagenden Hunger verspürte,
zogen es viele Bürger vor, auf eigene Faust durch die Stadttore zu fliehen.
Indem sie zum Feind überliefen, retteten sie ihr Leben, doch sollte dieses von
kurzer Dauer sein.
    Denn ein paar listige Männer
trachteten danach, ihre Reichtümer mit auf die Flucht zu nehmen, und schluckten
daher so viele Goldmünzen, wie sie konnten, bevor sie die Stadtmauern erklommen
und auf der anderen Seite mitten unter den Römern landeten. Zunächst behandelte
man die Abtrünnigen vernünftig und gewährte ihnen Schutz. Doch nachdem ein
römischer Söldner einen alten Juden dabei ertappt hatte, wie er aus seinem
eigenen Kot Goldmünzen herausklaubte, verbreitete sich in allen Lagern rasch
die Nachricht, daß die Flüchtlinge sich ihr Geld einverleibt hätten. Und so
geschah es, daß in dieser schrecklichen Nacht und in allen darauffolgenden
Nächten alle Juden, die in römischen Lagern Zuflucht gesucht hatten, bei
lebendigem Leib aufgeschlitzt und ihre Eingeweide nach Gold durchsucht wurden.
    Ich kann noch immer das
Wehklagen derer hören, die in jener Nacht dahingeschlachtet wurden, denn ihr
Geschrei wurde vom Wind in alle Teile der Stadt getragen. Diese armen Teufel,
die in ihrer Unwissenheit und Treulosigkeit zum Feind übergelaufen waren, um
ihre Haut zu retten, hatten auf abscheulichste Weise den Tod gefunden.
Vielleicht an die viertausend Menschen wurden in dieser Nacht getötet, Männer,
Frauen, ja sogar Säuglinge, aufgeschlitzt von römischen Soldaten wegen der
unersättlichen Gier des Menschen nach Gold. Und es heißt, daß der ganze Schatz,
den man bei den Ermordeten fand, sich auf nicht mehr als sechs Goldstücke
belief.
    Ich versuchte, mich nicht der
Hoffnungslosigkeit anheimzugeben, wie es so viele um mich herum taten. Die
Hungersnot war dabei, den Sieg über die Stadt davonzutragen, als das Getreide
knapp wurde und die Wasservorräte zur Neige gingen. Wir von den Armen waren
glücklicher dran als andere, denn diejenigen unter uns, die viel hatten,
teilten mit denen, die nichts besaßen. Wir beteten täglich, daß
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