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Der Fluch der Schriftrollen

Der Fluch der Schriftrollen

Titel: Der Fluch der Schriftrollen
Autoren: Barbara Wood
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Wahrheit gesagt hatte und daß ich
in diesen vergangenen Monaten meinen Mitmenschen den Rücken gekehrt hatte. Ich
blieb unterwegs nicht ungeschoren. Mehrmals, als ich durch dunkle Gassen ging,
wurde ich von wilden Kreaturen angefallen, die mit ihren Krallen an meiner
Kleidung zerrten und nach Verwesung stanken. Doch ich war stärker als sie, in
der Tat stärker als zehn von ihnen, denn ich hatte in den letzten Tagen
gegessen, wenn es auch nur wenig gewesen war, während sie gar nichts zu sich
genommen hatten. Und so war ich mit einiger Anstrengung imstande, meine
Angreifer abzuwehren und mich irgendwie zu Sauls Versteck durchzuschlagen.
    Er lag auf dem Steinboden mit
zwei Freunden an seiner Seite. Das einzige Licht in der totenähnlichen Dunkelheit
kam vom Mond, der silbrig durch das kleine, hoch oben gelegene Fenster schien.
Ich weiß nicht, an was für einem Ort ich mich eigentlich befand, doch es stank
widerlich nach Urin und Fäulnis. Die beiden Männer, die bei ihm saßen, glichen
jenen hohläugigen Gespenstern, die in den Straßen umhergingen und nur nach
einem Platz suchten, an dem sie sich zum Sterben niederlegen konnten. Sie waren
wie mein lieber Saul mit Lumpen bekleidet, unglaublich schmutzig und mit Blut
bespritzt. Als sie mich sahen, erhoben sie sich wortlos und ließen uns allein.
    Ich stand
eine Weile unentschlossen über meinem Freund, bevor ich neben ihm auf die Knie
fiel, so betäubt war ich von seiner Erscheinung. Wo war der stattliche,
fröhliche Mann, den ich so lange Zeit meinen Bruder genannt hatte? Wer war
dieser arme, abgezehrte Teufel, der kaum atmete und in seinem eigenen Dreck
lag?
    Ich konnte die Tränen nicht
unterdrücken. Mein treuer Freund rang sich ein Lächeln ab und meinte: »Du
hättest nicht herkommen sollen, Bruder, denn draußen ist es gefährlich. In
deinem Haus wärst du zumindest noch für eine Weile sicher gewesen.«
    »Ich hatte unrecht!« rief ich
voll Schmerz. »Wie blind ich doch war! Am ersten Tag, als du zu mir kamst,
hätte ich das Schwert nehmen sollen, denn dann wäre dein Tod nicht umsonst!
Jerusalem wird den Kampf verlieren, Saul, und wir werden für immer verloren
sein!«
    Aber er schüttelte den Kopf
und erwiderte: »Nein, mein Bruder, ich bin es, der unrecht hatte, und du
hattest recht. Es wird einen Messias geben, der eines Tages nach Israel kommt,
und Zion wird wieder regieren. Aber es war noch nicht an der Zeit. Als ich das
Schwert ergriff, David, begrub ich meinen Glauben an Gott. Du hingegen hast
durch deine Gebete den Bund mit ihm eingehalten. In meiner Eitelkeit glaubte
ich, Jerusalem eigenhändig retten zu können. Ich wollte den göttlichen
Ratschluß mit Gewalt herbeiführen und trachtete danach, Gottes Handeln zu
erzwingen. Doch jetzt erkenne ich, daß wir die Stunde, die der Herr für sein
Volk bestimmt, nicht vorhersehen können. Wir können nur warten und beten und
ihm unsere Würde bezeugen.
    Du, mein Bruder David, stehst
in deiner Würde über allen anderen Menschen, während ich unwürdig bin. Ich und
andere, die wie ich ein mangelndes Vertrauen in Gott bewiesen haben, tragen Schuld
daran, daß der Tag der Erlösung zurückgedrängt worden ist. Hätte auch ich
zusammen mit dir gebetet, wie ich es hätte tun sollen…«
    Saul erlitt einen Husten- und
Spuckanfall, daß mir angst und bange wurde.
    Und während er trotz seiner
unerträglichen Schmerzen noch immer lächelte, flüsterte er: »Ich habe dich über
alles geliebt, mein Bruderbund benutze meinen letzten Atemzug, um eine Bitte an
dich zu richten.«
    Ich konnte nicht antworten,
sondern schluchzte nur. Er fuhr fort: »Kümmere dich an meiner Statt um Sara und
Jonathan. Ich weiß nicht, wo sie jetzt sind; ich habe sie aus den Augen
verloren. Mache sie ausfindig und rette sie irgendwie vor dem Schicksal, das
jenseits der Stadtmauern auf sie wartet. Ich könnte es nicht ertragen, wenn die
Römer Hand an sie legten. Versprich mir, David, daß du sie beschützen wirst!«
    Und ich versprach Saul, daß
ich sie behüten würde, sollte es mich mein eigenes Leben kosten.
    »Und jetzt«, flüsterte er,
»jetzt gibt es noch etwas, das ich dir sagen muß. Ich sage es dir, weil ich im
Sterben liege und weil du leben wirst, und ich sage es dir auch, weil ich dich
liebe. Ich weiß schon seit vielen Jahren, daß du Sara liebst, David. Ich weiß
es, weil du mein Bruder bist und wir keine Geheimnisse voreinander haben. Ich
habe es stets in deinen Augen gesehen, und ich habe es auch in den ihren
erkannt. Ihr
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