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Der Fluch der Schriftrollen

Der Fluch der Schriftrollen

Titel: Der Fluch der Schriftrollen
Autoren: Barbara Wood
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setzte sie wieder auf und beugte sich erneut vor.
Was um alles in der Welt hat John Weatherby da gefunden?
     
    Ich habe nur noch einen
weiteren Grund, all dies niederzuschreiben, bevor ich sterbe. Möge Gott der
Herr sich meiner erbarmen, aber es ist von noch größerer Wichtigkeit als das
Bekenntnis meiner Schuld. Ich schreibe nämlich, damit mein Sohn verstehen möge.
Er soll die Tatsachen über die Vorgänge und Ereignisse kennenlernen, und er soll
auch erfahren, was mich zu meinem Handeln bewog. Er wird Geschichten darüber
gehört haben, was an jenem Tag geschah. Ich will, daß er jetzt die Wahrheit
erfährt.
     
    »Das ist ja nicht zu fassen!«
murmelte Ben. »John Weatherby, ich glaube kaum, daß Sie wissen, was Sie da ans
Tageslicht befördert haben! Bei Gott, das ist mehr als nur eine archäologische
Entdeckung, mehr als nur ein paar gut erhaltene Schriftrollen für das Museum.
Es sieht so aus, als würde hier eine letzte Beichte enthüllt werden. Und noch dazu
eine, die mit einem Fluch behaftet ist.« Ben schüttelte den Kopf. »Das ist
unglaublich…«
     
    Folglich sind diese Worte für
Deine Augen bestimmt, mein Sohn, wo immer Du auch sein magst. Meine Freunde
haben mich als sehr sorgfältigen Menschen gekannt, und ich darf bei diesem
meinem letzten Werk meine Natur nicht verleugnen. Diese Schriftstücke werden
für Dich, mein Sohn, als Erbe bewahrt werden, denn ich habe wenig anderes, was
ich Dir geben könnte. Einst hätte ich Dir ein großes Vermögen vermachen können,
aber jetzt ist alles zerronnen, und in dieser schwärzesten Stunde kann ich Dir
nur mein Gewissen hinterlassen. Obwohl ich weiß, daß es nicht lange währt, bis
wir in Zion im Neuen Israel wieder vereint sind, muß ich dennoch bestrebt sein,
diese Schriftrollen zu verbergen, als sollten sie bis in alle Ewigkeit ruhen.
Ich bin sicher, Du wirst sie bald finden. Es wäre indessen ein schlimmes
Unglück, sollten sie vernichtet werden, bevor Dein Auge sie erblickte. Deshalb
erbitte ich den Schutz Mose, auf daß sie sicher bewahrt werden.
     
    Den Schutz Mose? wiederholte
Ben in Gedanken. Er warf erneut einen Blick auf den oberen Teil der
Papyrus-Rolle, las nochmals die ersten Zeilen und erkannte darin, wenn auch in
etwas anderer Form, den Fluch, der auch im Alten Testament steht. In dem
Schreiben, das den Fotos der Schriftrollen beigelegt war, hatte John Weatherby
die Vermutung geäußert, er und sein Team hätten allem Anschein nach einen
archäologischen Fund von gewaltiger Tragweite gemacht. Doch offenbar war sich
der alte Dr. Weatherby nicht genau darüber im klaren gewesen, was er da
tatsächlich gefunden hatte.
    Ben Messer, dessen Aufgabe es
war, die Schriftrollen zu übersetzen, hatte religiöse Texte erwartet, Auszüge
aus der Bibel. Wie die Qumran-Handschriften. Aber das hier? Eine Art Tagebuch?
Und ein Fluch? Er war überwältigt. Was zum Teufel konnte das bloß sein?
     
    Nun, mein Sohn, bete ich zum
Gott Abrahams, auf daß er Dich zum Versteck dieses Schatzes eines armen Mannes
führen möge. Ich bete von ganzem Herzen, mit all meiner Kraft und mit größerer
Inbrunst, als wenn ich um seine Gnade für meine Seele betete, daß Du, mein
geliebter Sohn, eines nahen Tages diese Worte lesen wirst.
    Richte nicht
über mich, denn das steht allein Gott zu. Denk vielmehr an mich in Deinen
schweren Stunden, und erinnere Dich daran, daß ich Dich über alles liebte. Und
wenn unser Herr an den Toren Jerusalems erscheint, schau in die Gesichter
derer, die sich um ihn scharen, und mit Gottes Wohlwollen wirst Du das Antlitz
Deines Vaters unter ihnen erblicken.
     
    Benjamin
lehnte sich überrascht zurück. Das war ganz und gar unglaublich! Mein Gott,
Weatherby, Sie hatten nur zur Hälfte recht.
    Wertvolle Schriftrollen, ja.
Ein archäologischer Fund, der »die zivilisierte Welt erschüttern wird«, ja.
Aber da ist noch etwas anderes. Ben sprang erregt auf und lief mit großen
Schritten zur Fensterfront. Im Spiegelbild des Glases sah der
sechsunddreißigjährige Schriftenkundler seinen hochgewachsenen, mageren Körper
und seine weichen Gesichtszüge mit der Hornbrille und dem blonden Haar. Vor ihm
funkelten die hellen, blitzenden Lichter von West Los Angeles. Draußen war es
schon dunkel. Der Regen hatte aufgehört, und leichter Dunst lag über der Stadt.
Es war kalt geworden an diesem Novemberabend, ohne daß Ben es bemerkt hatte.
Wie immer, wenn er einen alten Text übersetzte, hatte er sich in den Sätzen
längst verstorbener Autoren
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