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Der Fluch der Schriftrollen

Der Fluch der Schriftrollen

Titel: Der Fluch der Schriftrollen
Autoren: Barbara Wood
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verloren. Autor unbekannt und namenlos. Mit
Ausnahme von diesem hier.
    Er wandte sich langsam um und
starrte eine Zeitlang auf seinen Schreibtisch. Der kreisförmige Strahl der
Leselampe erhellte eine kleine Fläche, während der übrige Raum im Dunkeln lag.
Mit Ausnahme von diesem hier, wiederholte er im Geiste. Wie erstaunlich, dachte
er, daß man Schriftrollen gefunden hat, die kein Priester, sondern ein
gewöhnlicher Mann verfaßt hatte und die nicht religiöse Aufzeichnungen, wie
sonst, sondern so etwas wie einen vertraulichen Brief beinhalten. Ist es denn
möglich? Hat John Weatherby tatsächlich die lange verlorenen Schriften eines einfachen
Mannes gefunden, der vor zweitausend Jahren lebte? Wie wichtig ist diese
Entdeckung? Sie wäre sicherlich ebenso einzustufen wie das Grab Tutenchamuns
und Schliemanns Troja. Denn falls es sich hierbei wirklich um die Worte eines
gewöhnlichen Bürgers handelte, der aus ganz persönlichen Gründen schrieb, dann
wären diese Schriftrollen die allerersten ihrer Art in der Geschichte!
    Ben ging zum Schreibtisch
zurück. Dort nahm gerade seine geschmeidige schwarze Katze Poppäa Sabina seine
neueste Arbeit in Augenschein. Das glänzende Foto, scharf und kontrastreich,
war eines von dreien, die Ben an diesem Abend per Eilboten erhalten hatte. Es
waren Aufnahmen von einer Schriftrolle, die zur Zeit unter der Schirmherrschaft
der israelischen Regierung restauriert und konserviert wurde. Auf den Fotos war
jeweils ein Drittel der gesamten Rolle zu sehen. Weitere Rollen sollten folgen,
hatte man Ben gesagt. Und jedes Bild war eine getreue Wiedergabe des Originals.
Nichts war daran verändert worden, und man hatte auch keine Verkleinerung
vorgenommen. Wären die Bilder weniger glatt und glänzend gewesen, so hätte Dr.
Messer tatsächlich geglaubt, die Original-Papyrusfragmente vor sich zu haben.
    Er setzte sich wieder,
stellte Poppäa sanft auf den Boden hinunter und übersetzte weiter.
     
    Höre, Israel, der Herr ist
unser Gott, der Herr allein. Gepriesen seist du, o Herr, unser Gott, König des
Universums, der seines feierlichen Bundes stets eingedenk ist, seinem Bund treu
bleibt und sein Versprechen hält; der den Unwürdigen Gutes tut und der auch
mich mit allem Guten bedachte.
     
    Er lächelte über das, was er
da gerade übersetzt hatte: das Schema Israel, der Anfang des jüdischen
Bekenntnisses und ein traditioneller Segensspruch, beides in Hebräisch: »Baruch
Attah Adonai Elohenu Melech ha-Olam. « An so etwas war Ben schon eher
gewöhnt. Heilige Texte, Gesetzessammlungen, Sprichwörter und Beschreibungen der
Endzeit. Wer immer dieser David Ben Jona auch gewesen sein mochte, er muß ein
äußerst frommer Jude gewesen sein, er hatte es nicht einmal gewagt, den Namen
Gottes auszuschreiben, sondern hatte statt dessen die vier hebräischen
Konsonanten JHWH benutzt. Beim nochmaligen Durchsehen seiner Übersetzung
bemerkte Ben auch, daß es sich bei David Ben Jona um einen Mann von hoher
Bildung handeln mußte.
    Das Klingeln des Telefons
schreckte Ben auf. Er warf seinen Kugelschreiber auf den Schreibtisch und nahm
atemlos den Hörer ab. »Ben?« Es war Angies Stimme. »Bist du eben gerade nach
Hause gekommen?«
    »Nein«, entgegnete er
verschmitzt, »ich habe die ganze Zeit hier am Schreibtisch gesessen.«
    »Benjamin Messer, ich bin zu
hungrig, um noch Sinn für Humor zu haben. Sag mir nur eines, kommst du nun
vorbei oder nicht?«
    »Ob ich vorbeikomme?« Er
schaute auf die Uhr. »Ach du lieber Himmel! Es ist ja schon acht!«
    »Ich weiß«, erwiderte sie
trocken.
    »Gott, das tut mir aber leid.
Da bin ich ja wohl eine halbe Stunde…«
    »Eine volle Stunde zu spät«,
seufzte sie spöttisch. »Mutter pflegte stets zu sagen, Schriftkundler seien
niemals pünktlich.«
    »Das hat deine Mutter
gesagt?«
    Angie lachte. Sie brachte
alle nur erdenkliche Geduld auf, wenn es um ihren Verlobten Ben ging. Er war so
verläßlich in allen anderen Dingen, daß es ihr leicht fiel, wegen seiner
notorischen Unpünktlichkeit nachsichtig zu sein. »Arbeitest du am Kodex?« fragte
sie.
    »Nein«, antwortete er und
runzelte die Stirn, da er sich plötzlich wieder an die Gesetzessammlung
erinnerte, die er dringend übersetzen mußte. Als er Dr. Weatherbys Fotos aus
Israel erhalten hatte, hatte er den ägyptischen Kodex, an dem er normalerweise
gerade arbeitete, beiseite gelegt. »Etwas anderes…«
    »Willst du’s mir nicht
verraten?«
    Er zögerte. In einem seiner
Briefe hatte John Weatherby Ben
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