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Der Fluch der Druidin

Der Fluch der Druidin

Titel: Der Fluch der Druidin
Autoren: Birgit Jaeckel
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Zwölfjährigen, der zu stolz war, um sich von seinem Vater zu verabschieden und ihm seine enttäuschten Tränen zu zeigen. Boiorix sah ihren Spiegel in Atharics Augen und sprang vor, um dem Angriff zuvorzukommen. Er schlug mit der Klinge zu, gleichzeitig stieß er seinen Schild nach vorne. Aber Atharic wich nicht zur Seite aus, wie Boiorix vermutet hatte. Er drehte sich ganz leicht auf den Fußballen, Hüfte und Oberkörper. In derselben Bewegung wechselte das Schwert in die linke Hand. Boiorix’ Hieb schlitzte Atharics Tunika auf und ritzte die Rundung der Schulter. Der Schild jedoch stieß an ihm vorbei ins Leere. Für einen flüchtigen Lidschlag standen die beiden Männer ganz nahe voreinander, dicht genug, dass Atharic den Atem des Wolfs, würde dieser noch leben, auf seiner Stirn hätte fühlen können. Dann stieß er sein Schwert nach oben. Mit dem widerlichen Knirschen von Stahl, der Knochen durchbohrte, drang die Waffe unter dem Kinn in Boiorix’ Schädel und tötete den Kimbernkönig auf der Stelle.
    Es gab nur wenige Nordmänner, die Zeuge wurden, wie ihr König starb. Alle anderen waren in Kämpfe mit den Römern verwickelt, starben unter den erbarmungslosen Schauern aus Speeren und Schwertern. Ein junger Krieger stürmte auf Atharic zu, bereit, den Tod seines Herrschers zu rächen, doch ein römischer Wurfspeer, der in seinen Nacken drang, vereitelte jede Vergeltung. Andere schrien: »Der König ist tot!«, und der Ruf wurde aufgenommen, weitergegeben, sosehr sich die übrigen Fürsten auch bemühten, ihn zu ersticken. Die ersten Kimbern wandten sich zur Flucht.
    Chaos brach aus.
    Sumelis hatte sich über Nandos Körper geworfen, ihr Mund auf seinem Mund, als Atharic zu den beiden Frauen trat und sich zwang, einen letzten Blick auf seinen Sohn zu werfen. Auf den Mann, nicht den Jungen, an den er sich erinnerte. Um ihn in sich zu bewahren, damit er ihn wiedererkennen würde, wenn sie sich im Totenreich begegneten – oder ihre Seelen in einem anderen Leben in einer anderen Welt, wie Talias Volk glaubte. Irgendwann.
    Noch immer kniend, sah Talia zu Atharic auf, die goldenen Augen stumpf. Fassungslos schüttelte sie den Kopf.
    »Es tut mir leid«, krächzte sie heiser. Und dann: »Wir müssen sofort hier weg, Atharic!«
    Atharic nickte stumm. Ein Mann taumelte an ihm vorbei, der untere rechte Arm am Ellbogen abgetrennt. Die Lücke, die er in den Reihen der Kimbern hinterlassen hatte, füllte sich mit einem Römer, dem weitere folgten. Den Kimbern gelang es noch einmal, die Bresche zu schließen, aber es sollte das letzte Mal sein. Einer der Legionäre schaffte es, sich brüllend weiter vorzukämpfen, blind um sich hackend, bis er nur noch wenige Schritte von Atharic entfernt war. Atharic tötete ihn, riss seinen Schild an sich und wehrte mit diesem eine weitere Lanze ab, die auf Sumelis zielte. Danach schien es, als ob er sich bücken wollte, um Nandos Körper in die Arme zu nehmen, ihn fortzutragen, am Ende beließ er es jedoch dabei, ihm das Schwert auf die Brust zu legen, das Heft unter dem Kinn, die Hände darüber gefaltet. Er schlang einen Arm um Sumelis’ Taille und zog sie hoch. Das Mädchen wehrte sich nicht. Unterdessen strömten immer mehr Kimbern an ihnen vorbei, rennend, fliehend, andere mit sich reißend wie ein Schneebrett in den Bergen, das die Welt verändern würde.
    »Wir können ihn nicht mitnehmen«, rief Talia. »Wir müssen dafür sorgen, dass wir hier lebend herauskommen!«
    Sumelis machte eine ablehnende Handbewegung, aber es lag kein Willen in diesem Widerspruch. Sie ließ sich von ihren Eltern wegzerren, vorbei an Kampfherden, den tödlich Verwundeten, die kriechend vor dem eigenen Verenden zu fliehen versuchten, und es war ihr gleichgültig, ob sie selbst auf diesem Schlachtfeld sterben oder leben würde.
    Nando war tot. Seine Seele war fort. Weitergezogen.
    Ohne sie.
    Nur einmal, kurz bevor sie in der kopflosen Flut der flüchtenden Kimbern untertauchten, drehte sich Sumelis um und blickte zurück zu Nandos Körper, dessen zur Seite gerollter Kopf ihnen nachzuschauen schien, die Erinnerung ihres Kusses auf den Lippen. Im Tod wirkte sein Körper unendlich entspannt, gelassener als jemals im Leben mit Ausnahme der viel zu kurzen Zeit, in der sie in seinen Armen gelegen hatte. Dann verschwand Nandos Leib unter einer Flut römischer Sandalen, und Sumelis blieb nichts übrig, als blind vor Tränen hinter ihren Eltern herzustolpern, hinein in das Chaos einer verlorenen Schlacht,
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